Der Euro markierte gegenüber dem US-Dollar das tiefste Niveau seit dem Jahr 2002. Ist ein „Abgesang“ auf die Gemeinschaftswährung gerechtfertigt?
Einen Euro für einen US-Dollar – die Parität der beiden Währungen wurde nun (wieder) erreicht. Seit Jahresbeginn hat die Gemeinschaftswährung rund zwölf Prozent an Wert eingebüßt. Für den, der seinen Sommerurlaub in diesem Jahr in den USA verbringt, dürfte es teuer werden. Wer hingegen in US-Anlagen investiert war, hat profitiert – oder konnte zumindest einen Teil seiner Verluste ausgleichen.
Doch wie geht es mit unserer Gemeinschaftswährung nun weiter? Ist der „Abgesang“ auf die Gemeinschaftswährung, der nun fast unisono von den Medien angestimmt wird, gerechtfertigt? Und in der Tat – abgesehen von den im Vergleich zur Eurozone inzwischen deutlich höheren US-Zinsen lassen sich einige gute Gründe dafür finden, dass der Euro zunehmend als Weichwährung interpretiert werden kann.
Die Eurozone ist der Versuch, viele unterschiedliche Wirtschaftsräume mit jeweils anderen Bedürfnissen unter einen geldpolitischen Hut zu vereinen. Das ist problematisch. Bereits ein, ökonomisch gesehen, relatives Leichtgewicht wie Griechenland konnte unseren Währungsraum vor wenigen Jahren vor eine Zerreißprobe stellen. Gleichzeitig hat ein Euro-Schwergewicht wie Italien seit Jahrzehnten mit magerem Wirtschaftswachstum und hohen Staatsschulden zu kämpfen. Das sorgt für ein Konfliktpotenzial, das sich nicht einfach in Luft auflösen wird.
Die Europäische Zentralbank (EZB) muss die Interessen der Euro-Mitglieder zusammenhalten. Eine Geldpolitik , die droht, ihr primäres Mandat der Preisstabilität hinter nachgelagerten Zielen wie der Antifragmentierung einzuordnen, ist aber nicht unbedingt vertrauensfördernd. Zumindest nicht auf den ersten Blick. Denn aus Sicht der EZB stellt sich die Lage natürlich anders dar. Lässt sich das Mandat für die Preisstabilität doch nur erfüllen, wenn der Euro Bestand hat. Insofern kann der Kampf gegen die Fragmentierung in der Eurozone oberste Priorität genießen.
Bei aller Kritik ist es aber auch angebracht, sich die Stärken des Euro in Erinnerung zu rufen. Die Eurozone ist einer der leistungsstärksten Wirtschaftsräume der Welt. Gut 340 Millionen Bürger (oder weniger als fünf Prozent der Weltbevölkerung) erwirtschafteten im vergangenen Jahr rund 15 Prozent der Weltwirtschaftsleistung.
Als weiteres Sinnbild dieser (relativen) Wirtschaftsstärke könnten für die vergangenen Jahre auch die Leistungsbilanzüberschüsse herangezogen werden. Seit 2012 erwirtschaftete die Eurozone (im Gegensatz zu den USA) ausschließlich Leistungsbilanzüberschüsse. Zwischen 2013 und 2021 lagen diese sogar bei mindestens 1,9 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Angesichts der jüngsten Gas- und Ölpreisanstiege verschlechtert sich diese Leistungsbilanz allerdings nach vorne schauend, wenn sie auch im ersten Quartal mit +0,7 Prozent immer noch positiv ausfiel.
Doch gibt es zur Eurozone nur wenige Alternativen. So ist zwar die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Chinas und die Attraktivität dieses Absatzmarktes unbestritten. Aber dort ist jede Investition vom Willen einer autokratischen Führung abhängig. Angesichts der Erfahrungen der vergangenen Jahre mit einer sich verschlechternden Rechtssicherheit dürfte es China daher zunehmend schwerfallen, den Renminbi (in der westlichen Welt) als alternative Leitwährung zum US-Dollar zu etablieren.
Auch Japan hat zwar mit einer funktionierenden Infrastruktur und vergleichsweise geringen Inflationsraten einige ökonomische Vorteile. Doch auch diese Volkswirtschaft kämpft mit strukturellen Problemen wie der Überalterung (29 Prozent der Bevölkerung sind dort älter als 65 Jahre – in Deutschland sind es 22 Prozent und im OECD-Durchschnitt 17,5 Prozent) und der Überschuldung (die Staatsverschuldung liegt bei rund 260 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP)). Hinzu kommt eine ultraexpansive Geldpolitik, die seit Jahrzehnten ihresgleichen sucht.
Einige Währungen wären also grundsätzlich (auch aus Diversifikationsgesichtspunkten) interessant, aber nicht zwingend eine bessere Alternative zum Euro – abgesehen vielleicht vom US-Dollar.
Für den US-Dollar sprechen kurzfristig die voraussichtlich (weiter) steigenden Zinsen und die Implikationen des Ukraine-Konflikts. Grundsätzlich ist die US-Wirtschaft die größte und leistungsstärkste Volkswirtschaft der Welt. Gleichwohl ist die US-Leistungsbilanz chronisch defizitär, was eigentlich gegen eine strukturelle Aufwertung des US-Dollar sprechen würde. Nach der Finanzkrise bewegte sich das US-Leistungsbilanzdefizit zumeist zwischen zwei und drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Die langfristige US-Dollar-Stärke speist sich daher vor allem aus der seit Dekaden erprobten Attraktivität des US-Kapitalmarktes.
Doch es ist gefährlich die jüngste US-Dollar-Stärke beliebig in die Zukunft zu extrapolieren. So dürften Entwicklungen wie ein anziehendes US-Zinsniveau an reflexive Punkte stoßen, sobald sie beispielsweise den US-Immobilienmarkt abwürgen und das gesamtwirtschaftliche Wachstum beeinträchtigen. Zudem kämpfen auch die USA mit hausgemachten Problemen, die die Attraktivität des US-Kapitalmarkts beeinträchtigen könnten. Dazu zählen politische Bedenken. So war es bis zum 6. Januar 2021 wohl unvorstellbar, dass ein US-Präsident einen Sturm aufs Kapitol wissentlich zulässt und die Rechtmäßigkeit der Wahlergebnisse zu seinen eigenen Gunsten nicht anerkennen lassen möchte.
Auch die Verschuldungssituation ist kein Pluspunkt. Die Gesamtverschuldung der USA (Haushalte, Unternehmen, Staat) ist sogar noch ein wenig höher als in der Eurozone. Zudem hat auch die US-Notenbank in der jüngeren Vergangenheit oft genug gezeigt, dass sie bereit ist, die Grenzen der Geldpolitik auszureizen. Vertrauensstiftend war das nicht.
Mit Blick auf die Währungsallokation haben Anleger also statt der „Qual der Wahl“ die „Wahl der Qual“. So schlecht es um den Euro vermeintlich stehen mag, aus fundamentalen Gesichtspunkten gibt es keine Alternative, die restlos überzeugen könnte. Auch nicht der US-Dollar, der nahe der Parität bereits viele seiner Vorteile eingepreist haben dürfte. Das (begründete) Narrativ einer sich fortsetzenden Euro-Schwäche sollte daher kontinuierlich kritisch hinterfragt werden.
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