Bert Flossbach über den Kampf der Notenbanken gegen die Inflation – und dessen Auswirkungen auf die Kapitalmärkte.
Herr Flossbach, wie würden Sie das vergangene Jahr beschreiben, aus Sicht des Investors?
Als gutes Anlagejahr. Zumal das nach dem ersten Quartal, nach den Pleiten einiger US-Regionalbanken, nicht unbedingt zu erwarten war.
Was hat 2023 besonders ausgezeichnet?
Der Gleichlauf der verschiedenen Anlageklassen hat einmal mehr verdeutlicht, welche Bedeutung die Zinsentwicklung für die Kapitalmärkte hat. Im Fokus stand, wie so oft in der jüngeren Vergangenheit, die Notenbankpolitik, genauer gesagt das Ausmaß möglicher Lockerungen der restriktiven Geldpolitik.
Die Börsen haben das Inflationsthema scheinbar abgehakt, sehen das Zwei-Prozent-Ziel der Notenbanken alsbald erreicht – teilen Sie den Optimismus?
Die Notenbanken haben zuletzt deutliche Fortschritte im Kampf gegen die Inflation gemacht, nehmen wir die Europäische Zentralbank EZB als Beispiel: Im Dezember stiegen die Verbraucherpreise in der Eurozone nur noch um 2,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Damit blieb die Inflation drei Monate in Folge unter der Marke von drei Prozent – immerhin. Aber: Der Rückgang ist auch auf Basiseffekte wie die gefallenen Energiepreise zurückzuführen. Die Kerninflationsrate, also die Rate ohne die Preise für Nahrungsmittel und Energie, lag im Dezember mit 3,4 Prozent noch deutlicher oberhalb des Inflationsziels der EZB.
Was heißt das für Ihre persönlichen Erwartungen an die Notenbankpolitik?
Trotz der Fortschritte sollten wir nicht den Fehler machen und so tun, als wäre die Inflation bereits besiegt. Anders ausgedrückt: Wir sollten uns besser nicht zu früh freuen!
Die letzte Meile sei die schwerste, mahnen die Notenbanker ...
Dem würde ich nicht widersprechen. Sie versuchen, allzu optimistische Erwartungen an die Zinspolitik zu dämpfen. Würden sie zu früh den Fuß von der Bremse nehmen und stattdessen auf das Gaspedal treten, könnte das einen neuerlichen Inflationsschub auslösen – möglicherweise mit gravierenden Folgen.
Inwiefern?
Ein solcher Schwenk hätte eine fatale Signalwirkung, sinngemäß: Die Notenbanken haben die Sache nicht mehr im Griff!
Sie sprechen von der EZB.
Nein, auch von der US-Notenbank Federal Reserve. Gemessen am U.S.-Consumer Price Index ist die Inflationsrate in den USA von rund sechs Prozent zu Jahresbeginn auf 3,1 Prozent im November gesunken. Die Kerninflation fiel im gleichen Zeitraum von 5,5 Prozent auf 4,0 Prozent.
Damit dürfte die US-Notenbank auch noch eine Wegstrecke zurücklegen müssen, oder?
So ist es. Zumal die US-Wirtschaft im dritten Quartal real um (annualisiert) 5,2 Prozent gewachsen ist! Der robuste Arbeitsmarkt und der hohe Lohndruck zeigen: besser sehr behutsam mit etwaigen Zinssenkungen umgehen.
Wer geht eher von der Bremse, EZB oder Fed?
Der Leitzins liegt in den USA bei 5,5 Prozent und damit 2,5 Prozentpunkte über der Inflationsrate; und die Realverzinsung 10-jähriger inflationsgeschützter US-Staatsanleihen ist mit knapp zwei Prozent deutlich höher als in der Eurozone. Heißt: Die Fed hat zumindest mehr Spielraum, den sie für erste kleinere Zinssenkungsschritte nutzen könnte, sollte sich der heimische Arbeitsmarkt deutlich abkühlen.
Wann könnten die Inflationsraten wieder auf, möglicherweise sogar unter das Zwei-Prozent-Ziel fallen?
Das lässt sich pauschal nicht sagen. Es gibt derzeit einige Faktoren, die inflationsdämpfend wirken. Die Lieferkettenprobleme etwa sind kein Thema mehr. In China mehren sich zudem die Anzeichen einer deutlichen Konjunkturabkühlung, was wiederum dämpfend wirkt auf das Weltwirtschaftswachstum und die Inflationserwartungen. Kurzfristig könnte der Inflationsdruck weiter abnehmen und den Notenbanken ein Fenster für Zinssenkungen öffnen. Langfristig sieht die Sache womöglich anders aus.
Wie meinen Sie das?
Es gibt strukturelle Inflationstreiber, die in den kommenden Jahren den „Inflationssockel“ erhöhen dürften.
Welche sind das?
Wir haben sie vor einer ganzen Weile schon die „drei D“ getauft: Demografie, Dekarbonisierung und Deglobalisierung. Sie werden die Preise in kommenden Jahren treiben. Insofern könnte sich ein zeitnaher Rückgang der Inflation als Pyrrhussieg erweisen – ein Sieg, der letztlich eine Niederlage ist. Weil die Notenbanken viel zu früh wieder Gas geben. Und die Inflation dann umso stärker zurückkehrt.
Heißt aus Anlegersicht: Die Themen Inflation und Zins dürften auch in diesem Jahr das wichtigste Thema an den Kapitalmärkten bleiben?
Das ist so, ja.
Welche Rolle spielen die zunehmenden Konflikte in der Welt – der Nahe Osten, die Ukraine, China, Taiwan oder das Säbelrasseln Nordkoreas? Nicht zu vergessen die bevorstehende US-Präsidentschaftswahl ...
Das Problem des Investors ist, dass er derlei Ereignisse, ihren Ausgang und die Auswirkungen nur schwerlich vorhersagen kann. Wenn Sie täglich die Nachrichten verfolgen, wirken die Meldungen nicht nur verstörend, sondern höchst bedrohlich – und das sind sie mitunter auch. Das Leid der Menschen in der Ukraine oder im Nahen Osten ist unerträglich! Aber was wollen sie als Investor daraus machen? Aktien von Unternehmen kaufen, die vermeintlich von der jeweiligen Krise profitieren? So einfach ist die Sache leider nicht. Schlussendlich muss Geldanlage konstruktiv sein. Es bringt wenig, sich auf das Allerschlimmste, den Weltuntergang, vorzubereiten, etwas salopp gesagt. Bislang ist er ausgeblieben, und falls er irgendwann doch kommen sollte, haben wir andere Probleme.
Was tun Sie stattdessen?
Ein Investor muss in Szenarien denken, die Risiken im Blick halten. Alles andere wäre fahrlässig. Nichtsdestotrotz sind wir uns bewusst, dass wir vieles eben nicht wissen oder beeinflussen können. Wir versuchen stattdessen, unsere Portfolios so widerstandsfähig wie möglich zusammenzustellen. Qualitativ hochwertige Investments, zu nachvollziehbaren Preisen erworben, breit diversifiziert.
Wie sieht denn die Zusammensetzung der gemischten Portfolios aus?
Das hängt vom jeweiligen Portfolio ab. Grundsätzlich ist es so, dass wir – angesichts des inflationären Umfeldes – einen signifikanten Anteil der Vermögen in erstklassigen liquiden Sachwerten halten, allen voran in Aktien sehr guter Unternehmen, dazu Gold, physisch wie nicht physisch. Den Anleiheanteil haben wir in den vergangenen Monaten aufgestockt. Anders als noch vor zwei Jahren taugen Bonds wieder als verlässliche Renditequelle, wenngleich mit Einschränkungen.
Welche sind das?
Nach der jüngsten Kursrally sind die Preise von lang laufenden Anleihen „priced for perfection“; der Spielraum für Fehler ist zuletzt wieder kleiner, die Fallhöhe größer geworden. Selbst wenn die niedrigeren Inflationserwartungen eintreten, ist das Potenzial für einen weiteren Rückgang der Renditen gering, denn die rund zwei Prozent, die 10-jährige Bundesanleihen zu Jahresbeginn abgeworfen haben, dürften kaum ausreichen, um einen angemessenen realen Ertrag zu erzielen.
Wie sieht es in anderen Eurostaaten aus?
Auch sie werfen derzeit kaum mehr ab, abgesehen von Spanien mit gut drei und Italien mit fast vier Prozent. Sollte die Inflation nicht – wie erwartet – zurückkommen, sind inflationsgeschützte Anleihen die bessere Wahl. Wenngleich auch hier die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Italienische Papiere bieten immerhin eine Realrendite von zwei Prozent, während inflationsgeschützte Bundesanleihen nur einen Realzins von null Prozent offerieren. Bezeichnenderweise hat das Bundesfinanzministerium beschlossen, zukünftig keine inflationsgeschützten Anleihen mehr zu emittieren, weil dies im Falle hoher Inflationsraten für den Staat zu teuer würde.
Also ist das Zeitfenster für Anleiheinvestments schon wieder geschlossen?
Nein, die deutlich gestiegenen Schwankungen der Anleihekurse bieten immer wieder Gelegenheiten, sowohl beim Einstieg als auch bei der Mitnahme von Gewinnen. Außerdem gibt es Marktsegmente mit höheren Renditen, die sich mit einem aktiv gemanagten Bondportfolio nutzen lassen.
Vielen Dank für das Gespräch.
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