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Gesellschaft
5 Minuten

„Die Inflation bleibt hoch“

- Prof. Dr. Thomas Mayer

Die US- Inflation könnte noch bis 2025 bei sechs Prozent verharren, sagt Thomas Mayer, Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute. Für die Eurozone sieht es nicht viel besser aus.

Herr Mayer, in diesem Jahr hat die Inflation immer neue Rekorde erreicht. Zuletzt schwächte sie sich aber in den USA wieder leicht ab. Glauben Sie, dass wir bald wieder normale Zeiten sehen – zumindest mit Blick  auf die Inflation?

Nein, wenn Sie Inflationsraten von zwei Prozent und weniger meinen, an die wir vor der Pandemie gewöhnt waren. Unsere neueste Studie zeigt, dass die Inflation in der Eurozone und in den USA mittelfristig wohl deutlich höher liegen dürfte. Nach unseren Simulationen ist das Potenzial dafür vorhanden, dass sie sich bis Mitte dieses Jahrzehnts in den USA bei jährlich etwa sechs Prozent und in der Eurozone bei mindestens 4,75 Prozent halten kann.

Sie erwarten also bis mindestens 2025 ein derart hohe Inflationsniveau. Wie kommen Sie darauf?

Dahinter steckt die übermäßige Ausweitung der Geldmenge . Milton Friedman hat schon in den 1960er Jahren einmal daran erinnert: Inflation ist immer und überall ein monetäres Phänomen.

Sind Friedman und der Monetarismus nicht überholt? So wurde immer wieder betont, dass die enormen Hilfspakete etwa in der Coronakrise die Inflation nicht befeuern würde. Und für die stark gestiegenen Verbraucherpreise wurden vor allem hohe Energiepreise oder Lieferkettenprobleme verantwortlich gemacht.

Letztere sind nicht Ursachen, sondern Katalysatoren für die Entstehung von Inflation. Aber sie haben Recht – Friedmann und seine Theorie sind nicht nur in Vergessenheit geraten. Maßgebliche Akteure haben versucht, sie aus dem kollektiven Gedächtnis zu löschen. So sagte Jerome Powell, Chef der US-amerikanischen Federal Reserve, noch am 23. Februar 2021, dass die Beziehung zwischen Geldmenge und Inflation etwas sei, das wir verlernen müssten.

Könnten Sie Friedmans Theorie kurz umreißen?

Sehr gerne. Friedman sah ein Überangebot an Geld als Ursache von Inflation an, den Geldüberhang. Grundlage für seine These ist, dass dem nominalen Einkommen in jeder Periode ein entsprechender Geldfluss gegenübersteht. Ein Geldüberhang entsteht, wenn eine Ausweitung des Geldangebots nicht durch eine entsprechende fundamentale Steigerung der Geldnachfrage kompensiert wird, etwa weil die Wirtschaft stärker wächst oder die Leute mehr Geld halten wollen. Dann kommt es auf dem Geldmarkt zu einem temporären Ungleichgewicht.

Und damit dann ein neues Gleichgewicht entsteht, müssen die Preise steigen, so dass Inflation entsteht.

Das ist eine mögliche, wenn auch nicht die einzige Lösung. Nehmen wir mal an, Sie und Ihre Nachbarn erhalten 1.000 Euro vom Staat – einfach so. Sie können das Geld sparen oder ausgeben. Wenn Sie es ausgeben, müssen Sie für ein Gut, das Sie gerne haben wollen, mehr bezahlen als sonst, wenn die Produktion nicht mit der Nachfrage Schritt halten kann.

Nehmen wir doch das Beispiel der „Coronaschecks“ der US-Regierung. Ist dadurch ein Geldüberhang entstanden?

So ungefähr. Denn die Notenbanken haben zeitgleich massiv Anleihen gekauft und dem Staat sozusagen das Geld für die „Coronaschecks“ geschaffen. Den daraus entstandenen Geldüberhang kann man nun grob abschätzen, indem man die von den Anleihekäufen aufgeblähte Entwicklung der Geldmenge mit der Fortschreibung der vergangenen Entwicklung aus der Zeit vergleicht, in der Anleihekäufe keine große Rolle gespielt haben. In den USA begannen die Anleihekäufe, die es ja schon in der Finanzkrise schon einmal gab, im großen Stil wieder ab 2020. Ende des dritten Quartals dieses Jahres betrug dann der aus der Differenz zwischen tatsächlichem und Trendwert der Geldmenge geschätzte Geldüberhang 26 Prozent.

Und im Euroraum?

Hier begann die Europäische Zentralbank mit ihren Anleihekäufen 2015 und trat dann ab 2020 nochmal kräftig aufs Gaspedal. Vergleicht man die Entwicklung der Geldmenge nun mit dem aus dem Trend von 2008 bis 2014 fortgeschriebenen Wert kommt man hier auf einen Geldüberhang von 44 Prozent. Betrachtet man aber nur die Entwicklung seit 2020 beträgt der Wert 22 Prozent.

Den Geldüberhang besitzen die Haushalte, nicht die Regierungen?

Genau. Während der Pandemie sind die Nettovermögen der Haushalte dank der aus den Coronahilfen gebildeten Geldersparnisse stark gestiegen und die der Staaten entsprechend gefallen. Die Staaten haben ihre Verschuldung durch den indirekten Verkauf von Anleihen an die Zentralbanken finanziert, die zur Bezahlung ihrer Käufe neues Geld geschaffen haben.

Doch es wird ja behauptet, dass die Haushalte diese „Schecks“ gar nicht ausgegeben haben?

Das war auch richtig, als sie es wegen der Lockdowns nicht konnten. Als das Geld den Bürgern überwiesen wurde, stiegen die Geldersparnisse, wie wenn man den Benzintank eines Autos auffüllt. Aber das Auto stand in der Garage, um im Bild zu bleiben. Doch inzwischen kann man wieder fahren, oder anders gesagt, die Menschen konsumieren wieder mehr.

Dann war also zunächst zu viel Geld im Umlauf …

… aber da der Umlauf gebremst wurde, ging die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes – also Bruttoinlandsprodukt geteilt durch Geldmenge – zurück.

Klingt logisch, weil dann mehr auf den Konten liegt, so dass für das Gewohnte weniger davon ausgegeben werden muss.

Genau. Auf Dauer kann man aber nicht davon ausgehen, dass die Wirtschaftsakteure eine durch die Politik arrangierte Geldspritze dauerhaft horten werden. Die tatsächliche Umlaufgeschwindigkeit wird also auf ihren längerfristigen Wert wieder ansteigen. Das heißt, die Leute geben mehr Geld aus, bis sie wieder die gewohnten Geldersparnisse haben. Wenn aber die Produktion nicht so schnell steigen kann wie die Nachfrage, übernimmt der Anstieg der Preise die Anpassung.

Derzeit wird ja vielfach eine Rezession erwartet, real gesehen. Dann geht die Inflation doch zurück. Oder?

Inflation ist oft die Folge einer schnell wachsenden Wirtschaft und sinkt, wenn die Rezession kommt. Doch dieses Mal ist es anders.

Inwiefern?

Die Produktion leidet heute unter Rohstoffknappheit, fehlenden Zwischenprodukten und Mangel an Arbeitskräften. Dagegen wird die Nachfrage noch immer durch den während der Lockdowns verteilten Geldsegen gestützt. Dadurch kommt es zu höherer Inflation bei gleichzeitig schwacher Konjunktur . In den 1970er Jahren fand man dafür die Bezeichnung „Stagflation“.

Dann erwarten Sie, dass die Stagflation heute wieder kommt?

Sie ist schon da. Aus unseren Simulationsrechnungen haben wir gesehen, dass sich über die nächsten Jahre in den USA und dem Euroraum aus dem Geldüberhang Inflationsraten von 6 beziehungsweise 4,75 Prozent finanzieren lassen, auch wenn das reale Bruttoinlandsprodukt in den USA im Schnitt nur um jährlich zwei Prozent und im Euroraum um 1,5 Prozent pro Jahr wächst. Das kann man Stagflation nennen.

Herr Mayer, vielen Dank für das Gespräch.

Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute.

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