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Gesellschaft

Lernen für den Wohlstand

- Shenwei Li

Die Kolumne der Analystin Shenwei Li gibt einen Einblick in den Alltag in China. Diesmal geht es um eine Reform der Schulen – mit weitreichenden Folgen. 

Unsere Regierung gibt gerne Ziele aus, die wir, das Volk, dann erreichen sollen. Bislang ist das in der Regel sogar gelungen. Um solche Ziele möglichst plastisch (und für jeden verständlich) darzustellen, verwendet sie gerne Losungen. „Zusammen reich werden“ ist eine davon, zu finden in unserem aktuellen Fünf-Jahres-Plan.

Nun werden Sie sicher verstehen, dass dieses Ziel nicht ganz einfach zu erreichen ist. „Reich“ zu werden ist schon für einzelne Individuen nicht ganz einfach. Dass der Wohlstand dann gleich noch für „alle zusammen“ deutlich steigen soll, ist schon eine Herausforderung. Unser Ministerpräsident Li Keqiang hatte bereits einen Vorschlag, der dabei helfen soll. „Ein fairer Zugang zur Bildung ist die größte Fairness“, erklärte er vor der Presse. Bildung, so die Idee, ist der direkte Weg zu einem höheren Einkommen und sollte deshalb gerechter verteilt werden.

Wie das funktionieren soll, zeigt sich in Shanghai. Die Lokalregierung präsentierte eine Reform des Schulsystems, das Kindern aus Vierteln mit im Schnitt schwächeren Schülern ab dem nächsten Jahr den Weg auf bessere Schulen ebnen soll. Konkret bedeutet das, dass die öffentlichen Schulen die Verteilung dieser begehrten Plätze ändern müssen und vermehrt Schüler aus entfernten Bezirken der Stadt aufnehmen sollen. Die Ausbildung entscheidet in China darüber, ob die Kinder später mal ein Leben in Wohlstand oder voller Entbehrungen führen werden. Entsprechend hoch ist die Priorität dieses Themas bei Eltern. Bildungsreformen wirken weit in die Wirtschaft hinein. In China gibt es etwa einen riesigen Markt für Nachhilfe.

Die Schulen und der Immobilienmarkt

Der Druck auf die Schüler ist hoch und beginnt schon im Kindergarten. Eltern von schwächeren Schülern versuchen, ihren Nachwuchs mithilfe von privat bezahlten Helfern erfolgreich durch das Bildungssystem zu schleusen. Noch größer ist der Effekt auf den milliardenschweren Immobilienmarkt in Shanghai. Viertel, die Kindern einen einfachen Zugang zu besseren Schulen ermöglichen, sind begehrt. Das wirkt auch auf die Mieten und Preise für Eigentumswohnungen, die dann oftmals doppelt so teuer sein können wie in benachteiligten Vierteln. So ist die Bildungsreform auch ein Mittel, regulierend auf den vielerorts heiß gelaufenen Immobilienmarkt in Shanghai einzuwirken – und die soziale Segregation in der Stadt abzumildern.

Nach dem Kindergarten besuchen die Kinder bei uns die Grundschule, dann eine Mittelschule, es folgt das Gymnasium und zuletzt die Uni. Zumindest im Idealfall. Selbst im fortschrittlichen Shanghai kommen nur knapp die Hälfte der Mittelschüler aufs Gymnasium, der Rest geht auf die Realschule. Rund sieben Prozent der Abiturienten schaffen es auf die Eliteunis. Die Konkurrenz unter den Kindern beginnt schon im Kindergarten. Wer es bis auf eine Eliteuni geschafft hat, ging durch eine harte Auslese.

Hilfreich ist dabei der Besuch einer der privaten Schulen, die in Shanghai (trotz der zu entrichtenden Schulgelder) von der Regionalregierung lange Zeit bevorzugt wurden und die eine bessere Qualität der Bildung bieten. Vor dem Jahr 2019 konnten sich alle Schüler zuerst bei den privaten Anbietern anmelden. Nur die Besten wurden aufgenommen. Die anderen landeten dann an den staatlichen Schulen. Mit dem Ergebnis, dass die privaten Schulen die talentierteren Schüler hatten, ihre Absolventen besonders begehrt waren und die Beliebtheit immer weiter stieg, was wiederum zu höheren Einnahmen und damit zu besseren Ausbildungsbedingungen führte.

Harte Auslese 

Bei den beliebtesten Schulen lag die Chance, genommen zu werden, bei weniger als zehn Prozent. Gute Noten allein reichten nicht, was dazu führte, dass die kleinen Bewerber mehrseitige Bewerbungsunterlagen einreichten, in denen auch außerschulische Aktivitäten, etwa Musik oder Sport, auf mehreren Seiten ausführlich geschildert wurden. Später wurden dann Lotterieverfahren eingeführt, um den Drang zu übermäßigen außerschulischen Aktivitäten zu mildern und damit dem Bewerberüberschuss aus entfernten Stadtteilen möglichst gleiche Chancen zu geben. Die größten Chancen haben aber nach wie vor die Kinder, die aus dem Viertel kommen, in dem die Schule liegt. Entsprechend teuer sind die Wohnungen in der Nähe dieser Schulen, was dazu führt, dass vermögende Familien dorthin ziehen und die Preise weiter steigen. Einkommensschwache Familien ziehen weg, was wiederum die Bildungschancen ihrer Kinder verschlechtert. Diesen Teufelskreis soll das neue Gesetz nun durchbrechen.

Vor der Reform vergaben bessere öffentliche Schulen die Plätze nach einem festgelegten Auswahlraster. Etwa 40 Prozent der Plätze wurden an Kinder aus der „Nachbarschaft“ nach selbst gesteckten Anforderungen vergeben (gute Kontakte zu der Schulleitung schadeten hier nicht). 45 Prozent der Plätze gingen an Schüler mit den besten Noten bei der Aufnahmeprüfung, die auch aus anderen Bezirken kommen konnten. Lediglich 15 Prozent der Plätze wurden exklusiv für Schüler reserviert, die aus dem Umland kommen. Ab 2022 dürfen die Schulen nur 15 Prozent der Plätze nach eigenen Kriterien vergeben und 45 Prozent auf Basis der Note. 45 Prozent der Plätze werden für Schüler aus anderen Bezirken freigehalten.

Die Folge: Während die Familien aus benachteiligten Vierteln profitieren (und dort wohnen bleiben können), erleiden einige Familien aus den „besseren“ Vierteln auch noch einen finanziellen Verlust, weil die Preise ihrer hochpreisigen Eigenheime einbrechen.

Das Beispiel Bildung zeigt, wie schwierig es ist, den „Kuchen neu zu verteilen“, wie man in China sagt. Das gilt auch für ein Land, in dem eine Partei die Regeln flexibel vorgibt und auch mal fundamental ändern kann. Bei jeder Reform gibt es Gewinner und Verlierer. Gemäß der Losung: „Zusammen reich werden“ dürfte es in den nächsten fünf Jahren in China wohl noch öfter dazu kommen, dass die Unterschicht gewinnt – während die Ober- und die Mittelschicht zu den Verlierern gehören.

Die Analystin Shenwei Li berichtet in ihrer Kolumne „Mail aus Shanghai“ in unserem Magazin „Position“ von ihren Erfahrungen – ganz aus dem Blickwinkel einer Chinesin. Das Magazin können Sie hier kostenlos abonnieren. 

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