Die EZB senkt die Zinsen – und hat die Inflation weitgehend im Griff. Doch es bleiben einige Herausforderungen.
Sie haben es (schon) wieder getan. Zum insgesamt vierten Mal in diesem Jahr senken die Ratsmitglieder der Europäischen Zentralbank (EZB) die Leitzinsen. Erneut geht es um 25 Basispunkte nach unten, womit der Einlagenzinssatz auf 3,0 Prozent sinkt.
Nach Ansicht von François Villeroy de Galhau, dem Präsidenten der Banque de France, dürfte die heutige Zinssenkung allerdings nur ein Zwischenschritt bleiben. Zum einen, weil der Sieg gegen die Inflation in Europa in Sicht sei. Zusätzlich haben sich die abwärtsgerichteten Risiken für Wachstum und Inflation aus seiner Sicht weiter erhöht.
Diese Einschätzung spiegelt sich auch in den neu veröffentlichten Dezember-Projektionen wider, die gemeinsam von den Mitarbeitern des Eurosystems und der EZB erstellt werden. Die Projektionen zeichnen nach wie vor kein euphorisches Bild vom Wirtschaftszustand der Eurozone.
Fürs kommende Jahr rechnen die Mitarbeiter für den Euroraum mit einem bescheidenen Wachstum in Höhe von 1,1 Prozent. Damit wurde die Wachstumsschätzung für 2025 in den zurückliegenden drei Projektionen jeweils leicht nach unten revidiert.
Im Zuge anhaltend mauer Wachstumsaussichten festigt sich der Eindruck, dass sich die Inflationsraten im Laufe des nächsten Jahres im Bereich des Zielwerts von zwei Prozent einpendeln werden. Im Durchschnitt des Jahres 2025 soll die Inflation nach Schätzungen der EZB-Mitarbeiter 2,1 Prozent betragen. Die Kerninflation wird im Mittel des kommenden Jahres bei 2,3 Prozent erwartet.
In Summe ebben die Sorgen vor anhaltend (zu) hohen Inflationsraten also weiter ab. Gleichzeitig nimmt ein mögliches Unterschießen der Inflation sukzessive mehr Gewicht in der EZB-Kommunikation ein, wie EZB-Chefvolkswirt Philip Lane kürzlich unterstrich: „Die Geldpolitik sollte nicht zu lange zu restriktiv bleiben. Andernfalls wird die Wirtschaft nicht ausreichend wachsen und die Inflation wird meiner Meinung nach unter das Ziel fallen.“
Ohne eine spürbare Veränderung der Großwetterlage ist der kommende geldpolitische Pfad also grob abgesteckt: Weitere Zinssenkungen sind fest eingeplant. Allerdings sieht sich der EZB-Rat im Rahmen des gegenwärtigen Zinssenkungszyklus nach wie vor einigen Herausforderungen gegenüber.
Ein Sorgenkind ist die immer noch hohe Dienstleistungsinflation, sodass ein wichtiger Teil der Disinflation erst noch eintreten muss. So stiegen die Dienstleistungspreise im November mit 3,9 Prozent unverändert stark an. In diesem Zusammenhang liegt die Aufmerksamkeit weiterhin auf dem hohen Lohnwachstum, das sich im dritten Quartal 2024 auf 5,4 Prozent beschleunigte und damit den höchsten Wert seit Bestehen der Eurozone markierte.
Hier gibt es regionale Unterschiede. Getragen wurde der jüngste „Lohnrekord“ von einem außergewöhnlich starken Anstieg der Tariflöhne in Deutschland um 8,8 Prozent, der sich insbesondere durch substanzielle einmalige Inflationsausgleichsprämien erklärt. Im Ergebnis erscheint es angesichts einer noch immer ausgeprägten Binneninflation daher verfrüht, eine vollständige Entwarnung für die Aufwärtsrisiken der (Lohn-) Inflation auszusprechen.
Zuversichtlich stimmt dennoch, dass die jüngsten Lohnanpassungen in bestimmten Sektoren noch mit einer erheblichen Verzögerung auf den starken Inflationsanstieg in der Vergangenheit reagieren. Zudem zeichnen etwa die jüngsten Tarifverhandlungen für die Metall- und Elektroindustrie in Deutschland bereits einen moderateren Trend beim Lohnwachstum. So sieht das Pilot-Verhandlungsergebnis der IG Metall einen Anstieg der Monatsentgelte von 2,0 Prozent ab April 2025 und weitere 3,1 Prozent ab April 2026 vor.
Neben einer nach wie vor erhöhten Binneninflation sieht sich die EZB zudem einer weiteren Schwierigkeit gegenüber. Nach jetzt vier Zinssenkungen stellt sich angesichts von Inflationsraten, die sich noch immer leicht oberhalb des Zwei-Prozent-Inflationsziels bewegen, die Frage, in welchem Tempo und Ausmaß der geldpolitische Restriktionsgrad gelockert werden kann.
Ratsmitglied Isabel Schnabel wirbt dabei für ein sehr graduelles Vorgehen. Hierbei rückte sie jüngst in den Mittelpunkt, dass sich die Geldpolitik dem „neutralen Bereich“ nähert, in dem sie weder stimulierend noch restriktiv wirkt.
In ihrer Einschätzung berief sich Schnabel unter anderem auf die jüngste Umfrage zur Kreditvergabe im Euroraum. Darin gaben fast alle Banken an, dass die Kreditnachfrage nicht mehr vom allgemeinen Zinsniveau beeinflusst wird. Dies ist ein großer Unterschied im Vorjahresvergleich, als fast die Hälfte der Banken im Euroraum angab, dass die Zinssätze die Kreditnachfrage belasteten. Darüber hinaus konnte auch ein Anstieg der Nachfrage nach Hypotheken festgestellt werden.
Wo ein neutrales Leitzinsniveau liegt, lässt sich naturgemäß nicht abschließend klären. Schnabel selbst würde es in einem Bereich zwischen zwei und drei Prozent ansiedeln. Aber gerade diese Unsicherheit spricht für einen vorsichtigen und schrittweisen Ansatz bei möglichen, kommenden Zinssenkungen.
Ähnlich äußerte sich auch Bundesbankpräsident Joachim Nagel, nach dessen Ansicht ein expansiver geldpolitischer Kurs erst dann gerechtfertigt erschiene, wenn ein deutlich gesteigertes Risiko für ein Unterschreiten des Inflationsziels besteht.
Hohe Dienstleistungspreise suggerieren, dass der Kampf gegen zu hohe Teuerungsraten in der Eurozone noch nicht vollständig abgeschlossen ist. Gleichzeitig deuten schwache Wachstumsaussichten und jüngst wieder moderatere Lohnabschlüsse darauf hin, dass die mittelfristigen Inflationsrisiken im Euroraum eher abwärtsgerichtet sind.
Während ein trüber Ausblick also für eine weitere Aufweichung des geldpolitischen Restriktionsgrads spricht, lässt das aktuelle Inflationsbild nach wie vor ein wohldosiertes Vorgehen erforderlich erscheinen.
Damit dürften sich die Euro-Währungshüter auch im neuen Jahr treu bleiben und weiter datenabhängig agieren. Den neutralen Bereich haben sie dabei fest im Visier.
(Foto: Unsplash)
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