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Chinesische Bedrohung

- Flossbach von Storch

Sind chinesiche Hersteller eine Gefahr für die heimischen Produzenten? Die Geschichte der globalen Automobilität.

Chinesische Automobilexporte setzen BMW, Mercedes-Benz und Volkswagen unter Druck. Marken wie BYD, Geely und Xpeng drängen auf den deutschen Markt und bieten E-Autos zu Preisen an, die für deutsche Hersteller kaum erreichbar sind. Noch greifen deutsche Kundinnen und Kunden nur zögerlich bei chinesischen Automobilen zu, aber die Bedrohung für die heimischen Hersteller wird zunehmend real.

Seit dem Jahr 2019 hat der Import von Fahrzeugen aus China nach Deutschland rapide zugenommen. Im Jahr 2023 avancierte China zu einem unserer größten Autoimportländer und überholte dabei sogar Japan (vgl. Grafik 1).

Chinesische Bedrohung - Flossbach von Storch

Die Entwicklung der chinesischen Automobilindustrie ist Teil einer strategisch ausgerichteten Industriepolitik und wird massiv vom chinesischen Staat gefördert. Aber auch der staatliche Wille in Europa, die Elektromobilität zu fördern, hat die Eingangstore für chinesische Hersteller geöffnet. Bei Verbrennungsmotoren können chinesische Anbieter nach wie vor kaum mit europäischen Produkten konkurrieren. Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Automobilbauer wird nun grundlegend in Frage gestellt.

Sollte die Politik eingreifen, um die heimischen Unternehmen, die Absatzmärkte und die hiesigen Arbeitsplätze vor der chinesischen Konkurrenz zu schützen? Der Blick in die 140-jährige Geschichte der deutschen Automobilindustrie offenbart, dass die Industrie nicht zum ersten Mal vor großen Herausforderungen steht. Die Geschichte hat viele Beispiele parat, aus denen man heute lernen kann. Wir schauen dafür in die 1920er- und 1970er-Jahre zurück.

Die amerikanische Bedrohung der 1920er-Jahre

Die europäische Wirtschaftspolitik war in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg von Protektionismus geprägt. Ausländische Automobile wurden bewusst aus dem deutschen Markt herausgehalten, um die heimischen Hersteller zu schützen. Die Isolationspolitik hatte zur Folge, dass der Austausch von Wissen und technischen Entwicklungen zum Erliegen kam und der Innovationsdruck außer Kraft gesetzt wurde. Dadurch waren Automobile in Deutschland nicht nur sehr teuer, sondern auch technisch rückständig.

Erst als im Zuge der französischen Besetzung des Rheinlands mehr und mehr ausländische Automobile auf den deutschen Markt gelangten, wurde den Herstellern und Kunden klar, wie abgeschlagen man war. Der Protektionismus gefährdete die heimische Industrie. Besonders gravierend war der Unterschied zu den US-amerikanischen Herstellern.

Das Automobil traf in den USA von Anfang an auf mehr Nachfrage als im dicht besiedelten Europa, wo die öffentlichen Verkehrsmittel gut ausgebaut waren und sie die Nachfrage nach Mobilität zunächst befriedigen konnten. Nach der Eisenbahn war das Auto das letzte Bindeglied zur Schaffung des großen amerikanischen Binnenmarkts.

Dadurch entstand in den USA früher als in Deutschland eine hohe Nachfrage nach Automobilen. Zudem profitierten US-amerikanische Autofahrer von geringen Betriebskosten durch die reichen Ölvorkommnisse im eigenen Land. Dagegen hatte die deutsche Mittelschicht infolge des Kriegs und der Hyperinflation keine hinreichende Kaufkraft und auch weniger Bedarf für die eigene Motorisierung.

Der entscheidende Schritt zur Senkung der Produktionskosten war der Ford Motor Company bereits vor dem ersten Weltkrieg gelungen. Mit der Einführung der Fließbandproduktion nach dem Konzept des Taylorismus konnte die Fertigungsgeschwindigkeit bedeutend erhöht werden. Während in den deutschen Fabriken die Produktion eines Automobils rund ein Dreivierteljahr dauerte, schaffte Ford dies in wenigen Tagen bis hin zu Stunden. Als Resultat betrugen die Produktionskosten für Ford nur rund die Hälfte der Kosten deutscher Autobauer.

Auf der deutschen Seite gab es unterschiedliche Sichtweisen, wie mit der neuen und übermächtigen internationalen Konkurrenz umzugehen sei. Die Automobilhersteller fürchteten um ihr Geschäft und drängten die Regierung zu hohen Einfuhrzöllen, die einem Importstopp gleichgekommen wären.

Unternehmen anderer Wirtschaftszweige argumentierten dagegen, weil sie Vergeltungszölle für ihre Güter befürchteten. Auch die Automobilhändler positionierten sich gegen Zölle, da der Import günstiger Automobile für sie lukrativ war. Selbst Arbeiter und Gewerkschaften hegten Sympathien für die US-Importe.

Obwohl in der Fließbandproduktion Arbeiter mit einer äußerst monotonen Tätigkeit betraut wurden, überwog die Aussicht auf höhere Löhne. Der Arbeitslohn bei Ford war wesentlich höher als in den deutschen Werken, sodass sich die Erzählung verbreitete, dass sich die Angestellten der Ford Motor Company selbst ein Automobil leisten konnten. Dagegen war der Pkw-Erwerb in Deutschland weiterhin nur den wohlhabendsten Haushalten vorbehalten.

Allerdings hatten die deutschen Automobilbauer gegenüber der übermächtigen US-amerikanischen Konkurrenz einen entscheidenden Vorteil: ihre geringere Größe. Während die Fließbandproduktion der US-Hersteller nur unter enormen Kosten für technische Erneuerungen angepasst werden konnte, hatte man in den deutschen Fabriken eine größere Flexibilität, Veränderungen vorzunehmen, ohne die gesamte Produktion stoppen zu müssen.

Durch den hohen Innovationsdruck der 1920er und 1930er Jahre schafften es die deutschen Hersteller, die Produktionskosten deutlich zu senken und selbst die Produkte attraktiver zu machen. So erfolgte Schritt für Schritt in Deutschland die Entwicklung eines kompakten Kleinwagens mit geringem Kraftstoffverbrauch, hoher Zuverlässigkeit und guten Fahreigenschaften. Der bis 1933 intensive Wettbewerb legte den Grundstein für den Erfolg der Branche, sowohl nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten als auch während der 1950er- und 1960er-Jahre.

Der Schlüssel des Erfolgs der 1920er-Jahre lag darin, dass der Staat die internationale Konkurrenz zuließ, was zu einer längst überfälligen Konsolidierung in der Branche führte. Langfristig gingen die deutschen Hersteller gestärkt aus der schwierigen Phase hervor, da sie technische Innovationen voranbringen mussten.

Die japanische Bedrohung der 1970er- und 1980er-Jahre

In der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg erfuhr die japanische Automobilindustrie einen beispiellosen Aufstieg und feierte Exporterfolge auf den amerikanischen und europäischen Absatzmärkten. Japan galt in dieser Zeit als ein Musterbeispiel langfristiger, strategisch motivierter Industriepolitik und damit dem Westen als überlegen. Die europäischen Hersteller befürchteten, durch die „japanische Bedrohung“ unterzugehen (vgl. Grafik 2).

Chinesische Bedrohung - Flossbach von Storch

Ende der 1960er-Jahre wollte das japanische Ministerium für internationalen Handel und Industrie (MITI) nationale Automobil-Champions bilden. Dazu sollte die zersplitterte Industrie auf wenige Unternehmen, nach dem Vorbild der Big Three in den USA, reduziert werden.

Die kleineren japanischen Automobilhersteller verteidigten ihre Unabhängigkeit. Mitsubishi reagierte mit der Hereinnahme von Chrysler als ausländischem Anteilseigner, Ford stieg bei Mazda und General Motors bei Isuzu ein. Auf diese Weise verhinderten die kleineren Unternehmen eine Vereinnahmung durch die japanischen Marktführer Toyota und Nissan. Der staatliche Plan eines nationalen Champions ohne ausländische Anteilseigner war durchkreuzt.

Auch bei der Frage nach den Produktionsprozessen konnte sich der Staat nicht gegen die Unternehmen durchsetzen. Das MITI drängte auf die Einführung der Massenfertigung nach amerikanischem Vorbild (Taylorismus). Die japanischen Unternehmen erkannten dagegen, dass das Konzept der Massenfertigung weder für den japanischen Absatzmarkt noch für den Arbeitsmarkt geeignet war.

Zum einen war der japanische Markt im Vergleich zu den USA relativ klein und heterogen. Zum anderen waren größere Materiallager weder möglich, noch entsprachen sie dem japanischen Wunsch nach Effizienz. Der wichtigste Faktor war die Organisation der Arbeiterschaft.

Lean Production als Gegenentwurf zum tayloristischen Konzept

Die amerikanische Besatzungsmacht nach dem Zweiten Weltkrieg setzte in Japan das Gewerkschaftswesen per Anordnung gegen den japanischen Widerstand durch. Die japanischen Unternehmen reagierten mit eigenen Betriebsgewerkschaften. Im Gegensatz zu den Branchengewerkschaften in den USA und Europa, richteten die japanischen Betriebsgewerkschaften ihre Loyalität am Erfolg des eigenen Unternehmens aus.

In Japan setzte sich dadurch eine Kultur der Kooperation zwischen Management und Arbeitern durch. Dem Arbeiter wurde eine verantwortungsvollere Stellung zugewiesen, die im Gegensatz zu den standardisierten, repetitiven Aufgaben in der Massenfertigung stand.

Diese neue Organisationsform wurde später unter dem Begriff Lean Production im Westen bekannt und setzte sich weltweit als Gegenentwurf zum tayloristischen Konzept der Massenfertigung durch. Das Konzept war auf mitdenkende und am Produktionsprozess beteiligte Arbeiter angewiesen, die laufend Verbesserungsmöglichkeiten oder Engpässe in Erfahrung brachten und kommunizieren mussten.

Der eigentliche Paradigmenwechsel, der sich Mitte des 20. Jahrhunderts in der Automobilindustrie vollzog, war der Übergang von der Massenfertigung zur Lean Production. In Japan hat sich diese Produktionsmethode gegen den Willen der Regierung durchgesetzt. Die Innovationskraft der japanischen Autobauer ist also im Wettbewerb entstanden.

In den USA und Europa haben protektionistische Maßnahmen gegen japanische Importe die Adaption der Produktionsmethode verzögert und der Branche geschadet. Anfang der 1990er-Jahre haben die westlichen Hersteller ihre Lektion gelernt und weitgehend auf Lean Production umgestellt. Der Wettbewerb durch die japanische Bedrohung hat das Geschäft belebt und nicht zerstört.

Die Lehren aus der Vergangenheit

Sowohl die amerikanische Bedrohung der 1920er-Jahre als auch die japanische Bedrohung ab den 1970er-Jahren haben gezeigt, wie wichtig Wettbewerb für die Zukunftsfähigkeit einer Industrie ist. Die Behinderung des Wettbewerbs blockiert Innovationsprozesse, sodass die Kosten zuerst bei den Kunden und dann auch bei den scheinbar geschützten Unternehmen und Arbeitnehmern anfallen. Der zukünftige Erfolg der deutschen Automobilindustrie ist eng mit der Intensität des Wettbewerbs verknüpft.

Die Sorge vor der Zerstörung der deutschen Automobilindustrie durch chinesische Hersteller ist unbegründet. Selbst in den 1920er-Jahren und den 1970er-Jahren haben die vermeintlich übermächtigen ausländischen Hersteller den deutschen Automobilbauern zwar Marktanteile abgenommen und für eine Konsolidierung gesorgt, jedoch nicht die deutsche Automobilindustrie grundsätzlich gefährdet.

Auch die ökonomische Theorie gibt Hinweise, warum eine Zerstörung der deutschen Automobilindustrie durch chinesische Elektroautos nicht zu befürchten ist. Die Errichtung des europäischen Binnenmarkts löste in den 1960er-Jahren unbegründete Sorgen aus, dass sich in den Ländern eine zu einseitige Spezialisierung der produzierten Güter etabliert.

Schließlich kam es nicht zur Spezialisierung von Deutschland auf die Produktion von Autos und von Frankreich auf die Produktion landwirtschaftlicher Produkte und damit auch nicht zum Tausch von Nahrungsmitteln und Autos zwischen Frankreich und Deutschland.

Sondern deutsche und französische Autohersteller spezialisierten sich auf die Befriedigung spezieller Kundenwünsche zu diesem heterogenen Gut, sodass in beiden Ländern weiterhin Autos produziert und deutsche Autos nach Frankreich und französische Autos nach Deutschland geliefert wurden. Gewinner waren die Verbraucher, die sich aus einer größeren Produktvielfalt bedienen konnten, und die Unternehmen, die bei der Herstellung differenzierter Produkte Skalenerträge erwirtschaften konnten.

Die richtige Antwort auf die neue Konkurrenz durch Elektroautos aus China ist deshalb der Abbau von Bürokratie und Regulierung. Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass die Europäische Union die Konkurrenz aus dem Fernen Osten ungehindert zulassen wird. Zu tief hat sich die Mentalität von Protektionismus und Industriepolitik in der Politik und der Öffentlichkeit verankert.

Über die Studie:
Die dreiteilige Studienreihe zu Innovation und Wettbewerb in der Automobilindustrie finden Sie auf der Homepage des Flossbach von Storch Research Institute.

Teil 1: Lehren aus den frühen Jahren

Teil 2:  Gestärkt durch die japanische Bedrohung

Teil 3:  Wettbewerb mit China statt Subventionswettlauf

Über die Autoren
Dr. Marius Kleinheyer und Dr. Philipp Immenkötter sind Senior Research Analysten des Flossbach von Storch Research Institute in Köln.

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