Weltweit werden die US-Amerikaner für ihre Aktienkultur gerühmt. Doch woher kommt die Lust, sich an Unternehmen zu beteiligen, statt das Geld zur Bank zu tragen?
Kulturen lassen sich nicht herbeireden. Sie wachsen, indem wir sie pflegen. Nicht immer mal wieder, sondern wieder und wieder. Und wieder. Über einen langen Zeitraum. Wenn Sie einen Gemüsegarten anlegen, der Ihnen in den kommenden Jahren möglichst viele Vitamine liefern soll, reicht es auch nicht, irgendwann ein paar Samen in die Erde gedrückt zu haben.
So ist es auch mit der Aktienkultur, um die es, das hören wir allenthalben, miserabel bestellt zu sein scheint. In weiten Teilen Europas, zuvörderst in Deutschland, wo die Aktie und der Aktionär kaum Fürsprecher haben, dafür umso mehr Kritiker. Ähnlich wie auch der Unternehmer. Beides irgendwie komische, eher zwielichtige Gestalten, zumindest in der Wahrnehmung vieler Menschen hierzulande.
Dabei wäre es aus Sicht eines Anlegers wichtiger denn je, unternehmerisch zu denken – statt wie ein Sparbuchinhaber, also ein Gläubiger. Als solcher verleiht er sein hart erarbeitetes Geld an die Bank und bekommt, da der Zins verschwunden ist: nichts. Außer der Gewissheit, dass 1.000 Euro zwar auf dem Papier 1.000 Euro sind (und auch bleiben), deren Kaufkraft aber von der Inflation „aufgefressen“ wird. Langsam, aber sicher. Er bzw. sie macht also ein Verlustgeschäft. Mit Ansage! Der Aktionär dagegen ist Unternehmer, zumindest denkt er wie einer. Er würde nie auf die Idee kommen, sich an irgendetwas zu beteiligen, von dem er weiß, dass er damit garantiert verliert.
Dass es auch anders geht, zeigen die US-Amerikaner. Keiner würde, so wie es viele Deutschen tun, mehr als 40 Prozent des Ersparten auf Bankkonten packen oder es als Bargeld horten. Zusammen mit den Versicherungsansprüchen sind es sogar fast 80 Prozent! Nein, die Amerikaner sind überwiegend Aktionäre, etwa jeder Zweite von ihnen hält direkt oder indirekt, über Fonds etwa, Aktien. In Deutschland ist es gerade einmal jeder Achte. Aber war das eigentlich schon immer so?
Die schlechte Nachricht ist: Ja, in Deutschland war es nie anders. Auch nicht zur Jahrtausendwende, als die Deutschen plötzlich wie im Fieberwahn Aktien kauften, in der Hoffnung, damit über Nacht reich werden zu können. Klar, damals investierten viel mehr Deutsche in Aktien als heute. Mit einer gesunden, weil ausgeprägten Aktienkultur hatte jene kurze Episode, jene kollektive Gier, die für viele Neu-Aktionäre im Desaster endete, jedenfalls nichts gemein.
Streng genommen konnte sie also auch nichts zerstören, was noch gar nicht da war; wohl aber hat sie gebremst, manche sagen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag hinausgeschoben, was hätte entstehen können – ein zartes Pflänzchen Aktienkultur; ein Pflänzchen, das, die nötige Pflege vorausgesetzt, möglicherweise mit der Zeit immer weitergewachsen wäre.
Zumindest weckte die gewaltige Börsenrally Ende der 1990er-Jahre das Interesse der Deutschen für die Börse, auch wenn die Motive die falschen waren: Das schnelle Geld statt der langfristigen Vermögensanlage. Die Aktie steht eigentlich für Letzteres. Für eine langfristige Beteiligung an einem Unternehmen. Nicht ohne Grund rät Warren Buffett, der weltbekannte Investor und, wen wundert’s, aus den USA stammend, man solle gute Aktien doch tunlichst günstig kaufen und niemals wieder verkaufen.
Die gute Nachricht ist: Nein, die Amerikaner waren nicht immer schon ein Volk von Aktionären. Sie wurden erst mit den Jahren dazu, zumindest legen das Dokumente der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) aus dem Juli 1948 nahe.
In deren regelmäßigem Bulletin ist eine repräsentative Umfrage zur Vermögensverteilung der Amerikaner und deren Risikoempfinden ausgewertet. 3.500 Amerikaner wurden damals befragt, unter anderem dazu, was sie tun würden, wenn sie Geld anzulegen hätten, kurzum: welche Anlagen sie bevorzugen würden?
Die große Mehrheit entschied sich damals für Anleihen (60 Prozent). Rund 32 Prozent gaben an, das Geld auf das Bankkonto packen zu wollen. Sicher war sicher. Ganz weit abgeschlagen dagegen, mit nur fünf Prozent der Nennungen, kamen die Aktien. Als Begründung nannten viele der Befragten, Aktien seien nicht sicher, eine Wette mit ungewissem Ausgang. Andere gaben an, sich nicht damit auszukennen und deshalb vorsichtig zu sein. Aller Anfang war schwer, selbst im Land der unbegrenzten Möglichkeiten.
Im Grunde lesen sich die Ergebnisse aus den USA der späten 1940er-Jahre noch ernüchternder als die Zahlen aus dem Deutschland der frühen 2020er-Jahre. Auch wenn sich Deutschland und die USA nur schwerlich miteinander vergleichen lassen, so macht der Befund, dass auch die Amerikaner nicht als Aktionäre geboren wurden, zumindest Hoffnung. Aber wie konnte die heute so hochgelobte Aktienkultur in den USA wachsen und gedeihen?
Ein gewichtiger Faktor ist sicherlich die Altersvorsorge der Amerikaner, die auf drei Säulen steht. Die staatliche Rentenversicherung „Social Security“, dazu die private und die betriebliche Vorsorge.
Letztere ist in den USA viel wichtiger als in Deutschland; jahrzehntelang banden US-Unternehmen ihre Mitarbeiter an sich, indem sie ihnen eine Garantierente aus dem hauseigenen Pensionsfonds versprachen. Bis heute gehören diese Fonds zu den größten und damit wichtigsten Aktieninvestoren, auch wenn die Unternehmen seit den 1980er-Jahren die Garantierenten zunehmend ersetzt haben durch freiwillige Arbeitgeberbeträge zum Fondssparen. Rund 70 Prozent der US-Haushalte haben heute einen solchen Fondssparplan – der Großteil des eingezahlten Geldes steckt in Aktien.
In Deutschland dagegen bauen die Rentner in spe nach wie vor auf die gesetzliche Rentenversicherung, auch wenn ihnen längst dämmert, dass die in vielen Fällen nicht ausreichen wird. Die Renten sind, die Bevölkerungsalterung lässt grüßen, eben nicht mehr sicher. Das wissen im Übrigen auch die Vertreter der verschiedenen politischen Parteien. Doch sämtliche Versuche, sowohl die private als auch die betriebliche Altersvorsorge zu stärken, waren halbherzig, zu teuer (für die Vorsorgesparer) oder was auch immer.
Auf die Idee, dass Aktien Teil der Lösung des Problems sein und helfen könnten, die allseits gefürchtete Rentenlücke langfristig zu schließen, ist bislang niemand so recht gekommen, der politisch etwas zu sagen hat. So zynisch es klingen mag: Vielleicht sorgt der Niedrigzins, verbundenen mit einem spürbaren Anstieg der Inflation – also wenn des Sparers Schmerz am größten ist –, noch für den berühmten Aha-Effekt. Es wäre höchste Zeit.
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