Die US-Regierung droht nicht nur mit neuen Zöllen, sondern legt auch eine 180-Grad-Wende in der Außenpolitik hin. Über Implikationen für die Geldpolitik.
In Saudi-Arabien sprechen Vertreter aus den USA und Russland über ein Ende des Ukraine-Kriegs – ohne Beteiligung der Ukraine. In Paris treffen sich besorgte europäische Staatsspitzen, deren weitgehende geopolitische Handlungsunfähigkeit auf der Münchner Sicherheitskonferenz von Donald Trumps Vizepräsidenten J.D. Vance offen zu Tage gelegt wurde. Ein gemeinsamer Wertekodex – so er denn noch existiert – könnte aus europäischer Sicht nicht mehr genug sein, um sich langfristig den militärischen Rückhalt der USA zu sichern. Nicht weniger als die Sicherheitsarchitektur Europas steht auf dem Spiel. Steigende Rüstungsausgaben und eine weitere Belastung der Staatshaushalte dürften wohl auch hierzulande die Folge sein.
Zeitgleich schwebt das Damoklesschwert einer deutlich schärferen US-Zollpolitik weiter über dem Außenhandel. Die Auswirkungen auf Investitionsklima und Inflation könnten erheblich sein. Die von Trump in einigen Bereichen der Außenpolitik vollzogene 180-Grad-Wende schürt eine enorme Unsicherheit. Was das für die Geldpolitik bedeutet und was nicht.
Christopher J. Waller, Vorstandsmitglied der US-Notenbank Federal Reserve (Fed), möchte die Unsicherheit über die Politik der neuen US-Regierung nicht überbetonen. Denn, wie er vor einigen Tagen in einer Rede ausführte, existiere immer eine gewisse Unsicherheit hinsichtlich der Wirtschaftspolitik. Letztlich müsse sich das Handeln der Fed auf eingehende Daten stützen, auch wenn die US-Notenbanker mit einer großen Unsicherheit über die Wirtschaftslage konfrontiert seien. Zwei jüngere Beispiele dafür, dass sich die Geldpolitik nicht von hoher Unsicherheit vereinnahmen lassen dürfe, lieferte er gleich mit.
Enorme Unsicherheit existierte beispielsweise im März 2022. Damals war die Inflation rasant gestiegen und Zinserhöhungen standen auf der Tagesordnung der Notenbank. Gleichzeitig war Russland Ende Februar des Jahres in die Ukraine einmarschiert, was bei westlichen Ländern Sanktionen gegen den Aggressor nach sich zog und weltweit zu einer enormen wirtschaftlichen Unsicherheit führte. Trotz allem entschied sich die Fed zu diesem Zeitpunkt, die Leitzinsen nicht nur erstmals seit 2019 zu erhöhen, sondern führte auch in den darauffolgenden Sitzungen mehrere große Zinserhöhungen durch. Hätte die Fed damals nicht gehandelt, so Waller, wäre wahrscheinlich sehr viel Zeit verstrichen, ehe die Unsicherheit angesichts des Krieges abgenommen hätte, und die danach noch höheren Inflationsraten hätten vermutlich eine noch aggressivere Inflationsbekämpfung erfordert.
Ein Jahr später, im März 2023, traten Spannungen im US-Bankensystem auf. Auch damals habe sich die US-Notenbank nicht von der Unsicherheit einschränken lassen. Zu diesem Zeitpunkt schlitterte die Silicon Valley Bank in die Insolvenz und die angeschlagene Credit Suisse musste von der UBS übernommen werden. Es war damals nicht klar, inwieweit diese Krise die Finanzstabilität und damit die US-Wirtschaft belasten würde. Zahlreiche Volkswirte schätzten, dass die US-Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte 2023 in eine Rezession abrutschen dürfte. Forderungen wurden laut, dass die US-Notenbank ihre geplante Leitzinsanhebung aussetzen müsse. Die Fed jedoch widerstand diesen Rufen. Sie verwies auf die unverändert zu hohen Inflationsraten und hob die Leitzinsen weiter konsequent an. Parallel dazu nutzte sie ihre Instrumente und stabilisierte das Finanzsystem durch die kurzfristige Bereitstellung von Liquidität.
Nach Ansicht von Fed-Vorstand Waller sei die Schlussfolgerung eindeutig: „Geldpolitik kann nicht auf Eis gelegt werden, während man auf die Lösung dieser Art von Unsicherheit wartet“. Die Politik der neuen US-Regierung sei durch ebendiese Art von Unsicherheit gekennzeichnet, die zum jetzigen Zeitpunkt nur wenige geldpolitische Ableitungen zulasse. Wer auf Dauer wie das Kaninchen vor der Schlange erstarrt und in Handlungsuntätigkeit verfällt, läuft womöglich Gefahr, eines Tages gefressen zu werden.
Während die US-Notenbank also bemüht ist, ihre anstehenden Zinsentscheidungen nicht von Gedankenspielen um mögliche Auswirkungen der US-Politik beeinflussen zu lassen, argumentiert die Europäische Zentralbank (EZB) ganz anders. Denn ihre Ausgangslage ist eine andere.
Einerseits wird in vielen europäischen Ländern der demografische Wandel in den kommenden Jahren zu einer immer stärkeren Belastung für die Staatshaushalte. So könnte die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter (15 bis 64 Jahre) in den kommenden zehn Jahren deutlich zurückgehen. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen wird die Zahl in diesem Zeitraum um knapp zehn Prozent in Deutschland zurückgehen. In Italien dürfte der Rückgang sogar noch stärker ausfallen.
Andererseits steht die Eurozone vor immensen wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen. Wie EZB-Präsidentin Christine Lagarde vergangene Woche in ihrer Rede vor dem Europäischen Parlament betonte, hinkt Europa der internationalen Konkurrenz bei Produktivität und Wachstum hinterher. Entsprechend groß sei der Investitionsbedarf in Bereichen wie der digitalen Transformation. Auch der ökologische Wandel erfordere weitere Anstrengungen. Daher müssen Investitionen der Grundstein für den wirtschaftlichen Wandel Europas sein. Das kostet Geld. Viel Geld.
Und nun kommt auch noch hinzu, dass in den vergangenen Tagen noch einmal unübersehbar wurde, wie verwundbar die europäische Sicherheitsarchitektur ohne einen verlässlichen US-Partner ist. Auch hier tickt die Uhr, sollten sich die US-Amerikaner aus Europa zurückziehen. Massive Investitionen in die eigene Verteidigungsfähigkeit sind nötig. Und so brachte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen jüngst die Möglichkeit ins Spiel, die EU-Haushaltsregeln einmal mehr auszusetzen – bereits zwischen 2020 und 2023 waren sie außer Kraft.
Für die Fiskaldisziplin der europäischen Staaten verheißt das nichts Gutes. Das gesamtstaatliche Defizit eines Mitgliedstaats soll gemäß der Maastricht-Kriterien drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nicht überschreiten. Auch im Jahr 2024 wurde dies vielerorts nicht ganz so genau genommen. Für die Eurostaaten dürfte das durchschnittliche Staatsdefizit im vergangenen Jahr bei eben jenen drei Prozent gelegen haben. Frankreich dürfte gar auf sechs Prozent, Belgien auf mehr als vier Prozent und Italien auf knapp vier Prozent gekommen sein. Bereits jetzt sind somit die Defizite in vielen Mitgliedsländern nicht gerade gering. Dabei stehen wir erst am Beginn von gleich mehreren milliardenschweren Herausforderungen. Weiter steigende Defizite und noch höhere Schuldenberge sind damit wahrscheinlich.
Geben die finanziellen Lasten Grund zur Sorge? Die Antwort darauf liegt vermutlich im Auge des Betrachters. Immerhin ließe sich einwenden, dass man sich wohl keine unmittelbaren Sorgen um die Solvenz der Eurostaaten machen muss. Dafür dürfte im Bedarfsfall einmal mehr die EZB sorgen.
Denn Lagarde machte in ihrer Rede vor dem Europäischen Parlament auch klar: „Die EZB wird im Rahmen ihres Mandats ihren Beitrag leisten, um die bestehenden Herausforderungen gemeinsam zu meistern“. Die Möglichkeiten dazu hat die Notenbank allemal. Bereits im Zuge der Corona-Pandemie hat sie den Beweis dafür erbracht. Seinerzeit hatte das Eurosystem zeitweise mehr als 25 Prozent der ausstehenden Staatsschulden einzelner Eurostaaten in ihrer Bilanz stehen. Zudem hat sich die EZB mit dem im Juli 2022 geschaffenen „Transmission Protection Instrument“ (TPI) die Möglichkeit eingeräumt, bei Bedarf unbegrenzt Staatsanleihen zu kaufen.
In den kommenden Jahren dürften damit in der Eurozone enorme staatliche Ausgabenpakete auf eine handlungsfähige und handlungswillige Notenbank treffen.
In den USA sind die kurzfristigen geldpolitischen Auswirkungen des aktuellen politischen Umfelds noch begrenzt. Zölle und damit verbundene Handelskonflikte sowie deren mögliche Auswirkungen auf das Investitionsklima lassen sich nur schwer greifen. Entsprechend agieren die US-Notenbanker so wie in den vergangenen Jahren und betonen momentan ihre Gelassenheit. Sie konzentrieren sich in einem unsicheren Umfeld auf die Informationen, die sie greifen können, und überlassen etwaige Spekulationen bestmöglich der Außenwelt. Das dürfte ihre Politik noch bis mindestens Mai 2026 kennzeichnen, wenn Jerome Powells Mandat als Fed-Vorsitzender ausläuft.
Die EZB hat in der Person von Christine Lagarde hingegen bereits die Weichen für die langfristige geldpolitische Ausrichtung im Euroraum gestellt. Spätestens mit ihrer Rede vor dem Europäischen Parlament dürfte klar geworden sein, dass der geldpolitische Geleitschutz für die Staatsfinanzen kein Phänomen der Eurokrise oder der Corona-Pandemie war, sondern auch für künftige Herausforderungen gilt. Ob und in welchem Ausmaß dies perspektivisch Marktinterventionen zur Deckelung von Staatsanleiherenditen nach sich ziehen wird oder ob das gesprochene Wort zur „Marktberuhigung“ ausreicht, wird sich zeigen. Mit Blick auf die Schuldentragfähigkeit der Eurostaaten, deren Staatsverschuldung in vielen Fällen schon heute bei mehr als 100 Prozent des BIP liegt, scheint alles andere als ein nachhaltig tiefes Realzinsniveau jedoch kaum vorstellbar. Letzteres wird die EZB sicherstellen. Mal wieder. Insofern bleibt bei uns alles beim Alten.
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