Lange gab es an Chinas Aktienbörsen nur wenige gute Nachrichten. Jetzt deutet immer mehr darauf hin, dass sich der Markt zurückmeldet. Eine Analyse.
Als Ende Januar bekannt wurde, dass das chinesische Startup DeepSeek bedeutende Fortschritte bei der künstlichen Intelligenz gemacht hatte, fielen die Halbleiteraktien weltweit. Der Aktienkurs des US-Herstellers von Hochleistungschips Nvidia stürzte um mehr als 17 Prozent ab und vernichtete einen Marktwert von mehr als 600 Milliarden US-Dollar – der historisch größte Tagesverlust für ein Unternehmen. Das Open-Source-KI-Modell von DeepSeek wurde Berichten zufolge mit weitaus weniger Rechenleistung und zu einem Bruchteil der Kosten konkurrierender US-Systeme entwickelt.
Anleger befürchteten, dass China den USA die technologische Führung streitig machen könnte. Der Risikokapitalgeber Marc Andreessen aus dem Silicon Valley bezeichnete das jüngste System von DeepSeek als einen der beeindruckendsten Durchbrüche, die er je gesehen habe, und nannte es „den Sputnik-Moment der KI“ – eine Anspielung auf den sowjetischen Satelliten, der den Westen 1957 schockierte und das Wettrennen im Weltraum anheizte. US-Präsident Trump bezeichnete es als Weckruf für die US-Industrie und forderte diese auf, sich „auf den Wettbewerb zu konzentrieren, um zu gewinnen“.
Auch wenn die langfristigen Auswirkungen noch unklar sind, stellt das die vorherrschende Meinung in Frage, dass es China aufgrund seines repressiven politischen Regimes an kreativen Unternehmern mangeln könnte. Könnte der Durchbruch von DeepSeek ein Signal dafür sein, dass sich die Wahrnehmung Chinas durch internationale Investoren ändert?
Wir glauben, dass dieser Wandel durchaus möglich ist. Zwar liegt China im Bereich der KI noch hinter den USA zurück, doch könnte sich die Lücke schneller schließen als erwartet. China beheimatet bereits fast die Hälfte der weltweiten KI-Talente, verglichen mit weniger als 20 Prozent, die in den USA leben. Hier werden jährlich mehr Studenten in den Bereichen Wissenschaft, Technologie, Ingenieurwesen und Mathematik ausgebildet als in jedem anderen Land der Welt.
China ist auch führend bei den KI-Patenten und der Zahl der Programmierer. Aufgrund der US-Halbleiter-Exportkontrollen mussten chinesische Technologieunternehmen ihre Software optimieren, um die dadurch weniger fortschrittliche Hardware im Land auszugleichen. Das neueste Modell von DeepSeek zeigt, dass bei der Software-Innovation große Fortschritte gemacht wurden. Und nicht nur DeepSeek sorgte für Aufmerksamkeit.
Weitere Schlagzeilen machten humanoide Roboter von Unitree Robotics, als sie bei einer chinesischen Neujahrsgala neben menschlichen Darstellern tanzten. Die Roboter führten einen traditionellen Yangge-Tanz auf und beeindruckten die Zuschauer mit ihren synchronen und flüssigen Bewegungen. Das Besondere an der Aufführung war nicht nur die Fähigkeit der Roboter, menschliche Tanzbewegungen nachzuahmen, sondern auch ihre Echtzeitanpassung an die Musik. Mithilfe fortschrittlicher KI-Algorithmen gelang es den Robotern, sich mit ihren Bewegungen am Rhythmus und das Tempo der Musik zu orientieren.
Diese Fähigkeit, auf äußere Reize zu reagieren, ist ein Schlüsselmerkmal der KI-gesteuerten Roboter von Unitree. So wie das neueste große Sprachmodell von DeepSeek mit dem ChatGPT von OpenAI konkurriert, scheinen die Unitree-Roboter mit den Optimus-Robotern von Elon Musk in einen Wettbewerb zu treten. Bemerkenswert ist, dass die Entwicklungsteams beider Unternehmen zudem größtenteils aus jungen Leuten bestehen, die ihre Abschlüsse an lokalen Universitäten erworben haben, was auch die wachsende Stärke des chinesischen Bildungssystems demonstriert.
Schon in der Coronakrise erlebten einige chinesische Hightech-Aktien an den Aktienbörsen Höhenflüge. Kurz vor einem geplanten Börsengang der Alibaba-Tochter Ant Ende 2020 verlor der Sektor jedoch das Wohlwollen der Regierung Xi Jinping und eine unerwarteter Regulierungswelle begann, in der manche Geschäftsmodelle empfindlich beschnitten wurden. Viele Investoren zogen sich damals zurück und seither enttäuschte die Aktienkursentwicklung an den Börsen Shanghai und Hongkong.
Nun gab es aber noch ein weiteres wichtiges Ereignis. Es war ein Symposium, das Chinas Präsident Xi Jinping mit privaten Unternehmern abhielt. Die staatlichen Medien zeigten, wie Xi nicht nur den Chef von DeepSeek, Liang Wengfeng, begrüßte, sondern auch dem Mitbegründer von Alibaba, Jack Ma, die Hand schüttelte, der seit Ende 2020 nicht mehr im Rampenlicht stand.
Die Anwesenheit von Jack Ma, der in der ersten Reihe saß, und sein Händedruck mit Xi könnten klare Signale dafür zu sein, dass er rehabilitiert worden ist. Das Treffen war Xis erste hochkarätige Begegnung mit Unternehmern seit Jahren. Er hob ihre Rolle für Chinas wirtschaftliche Stärke hervor und versprach gleiche Wettbewerbsbedingungen für Privatunternehmen. Xi ermutigte die Unternehmer, ihre Unternehmen zu stärken, zu erweitern, technische Innovationen voranzutreiben und zur Modernisierung Chinas beizutragen.
Das könnte einen Richtungswechsel von weniger Staatseingriffen zu mehr Pragmatismus darstellen und ein Zeichen für ein künftig geringeres politisches Risiko für Privatunternehmen sein. Die Anwesenheit des chinesischen Premierministers Li Qiang unterstrich das Engagement Pekings, das Vertrauen des Privatsektors wiederherzustellen. Letztlich entspricht die Förderung von Investitionen des Privatsektors dem Interesse der Regierung an der Ankurbelung der Wirtschaft. Zu den Teilnehmern aus dem Privatsektor gehörten zudem der BYD-Vorsitzende Wang Chuanfu und der CATL-Vorsitzende Robin Zeng. Ebenfalls anwesend waren Tencent-CEO Pony Ma, Huawei-CEO Ren Zhengfei, Xiaomi-Vorsitzender Lei Jun und Unitree Robotics-Gründer Wang Xingxing.
Und Alibaba, der von Jack Ma gegründete auf E-Commerce und Internetdienste spezialisierte chinesische Tech-Gigant kündigte kürzlich noch eine Partnerschaft mit Apple an, um KI-Dienste für iPhones in China zu unterstützen. Diese Zusammenarbeit könnte Apple helfen, den rückläufigen Smartphone-Verkäufen in Schlüsselmarkt China entgegenzuwirken, wo es mehr iPhone-Nutzer gibt als in den USA. Die KI-Integration ist für Apple von entscheidender Bedeutung, da dort der iPhone-Absatz aufgrund der zunehmenden Konkurrenz durch inländische Wettbewerber rückläufig ist. Angesichts der Größe und Bedeutung beider Unternehmen hat diese Partnerschaft auch einen hohen symbolischen Wert.
Und die jüngsten Quartalsergebnisse von Alibaba können sich sehen lassen: Der Marktanteil im E-Commerce-Geschäft stabilisierte sich, die Provisionserträge stiegen und die Segmentgewinne nahmen zu. Auch für das Cloud-Geschäft gab es einen positiveren Ausblick. Während der Analystenkonferenz teilte das Management von Alibaba den Anlegern dann mit, dass die Investitionen in die Cloud- und KI-Infrastruktur in den nächsten drei Jahren die Ausgaben des letzten Jahrzehnts übersteigen und sich auf rund 50 Milliarden US-Dollar belaufen werden. Das Unternehmen will zudem die F&E-Ausgaben für KI-Grundlagenmodelle deutlich erhöhen, um seine technologische Führungsposition zu behaupten. Dieser aggressive Investitionsplan ist ein weiterer Beweis für die Entschlossenheit des Unternehmens, an Chinas KI-Wettlauf teilzunehmen, und signalisiert das Vertrauen der Unternehmensleitung in eine breitere Akzeptanz.
Chinesische Unternehmen und Verbraucher brauchen nach Jahren des verlangsamten Wirtschaftswachstums und zunehmender geopolitischer Spannungen positive Nachrichten. Die Erwerbsbevölkerung hat bereits seit einiger Zeit mit einem schwachen Arbeitsmarkt, langsamem Lohnwachstum und einem unruhigen Immobilienmarkt zu kämpfen.
Und so liegt das Verbrauchervertrauen heute deutlich niedriger als 2021, was zu einer geringeren Nachfrage und einer höheren Sparquote führt. Seit 2020 sind die Bankeinlagen von Privatkunden um fast 10 Billionen US-Dollar gestiegen und belaufen sich mittlerweile auf mehr als 21 Billionen Dollar. Sie fallen damit höher aus als das chinesische Bruttoinlandsprodukt im vergangenen Jahr.
Diese Herausforderungen werden nicht über Nacht verschwinden. Dass Peking aber regulatorische Lockerungen beschleunigt, könnte sich aus unserer Sicht sogar als wirksamer erweisen als die Steuer- und Geldpolitik des Landes.
Angesichts der Regierungsstruktur und des politischen Systems Chinas sind die Regulierungskanäle mächtige Instrumente für die politischen Entscheidungsträger. Die aufsichtsrechtliche Prüfung von Internetunternehmen, die mit der Absage des Börsengangs von Ant Financial im Jahr 2020 begann, führte zu einem starken Anstieg der Risikoprämien für Aktien chinesischer Technologieunternehmen und zu einer erheblichen Abwertung, obwohl die Fundamentaldaten relativ stabil blieben. Mit einem pragmatischeren Ansatz, der den privaten Sektor begünstigt, könnte sich der Markt nun wieder auf die fundamentalen Faktoren konzentrieren.
Auch der neue US-Präsident Donald Trump scheint sich eher mit liberalen westlichen Regierungen anlegen zu wollen als mit Russland oder China. In Bezug auf den Zollkonflikt mit China hat er (erst einmal) eine weichere Haltung eingenommen als erwartet worden war, was die Wahrscheinlichkeit einer Verbesserung der Beziehungen beider Länder erhöht, auch wenn hier die geopolitischen Risiken weiter bestehen.
Damit könnte auch das Risiko, dass chinesische Aktien aus maßgeblichen Benchmark-Indizes ausgeschlossen werden, deutlich sinken. Und China ist immer noch der zweitgrößte und am schnellsten wachsende Verbrauchermarkt der Welt. Unternehmer waren stets der Motor des chinesischen Wachstums und der Grund, warum China wohlhabend wurde.
Die Wiederherstellung des Vertrauens in den privaten Sektor ist aus unserer Sicht ein entscheidender Faktor für den weiteren wirtschaftlichen Erfolg. Wenn es gelingt, könnte es Investitionen, die Schaffung von Arbeitsplätzen und das Lohnwachstum ankurbeln.
Dafür müssten jedoch den Worten Xi Jinpings Taten folgen; beispielsweise durch marktfreundliche Reformen, Anreize für mehr Investitionen oder zur Steigerung der Verbrauchernachfrage. Die nächste Gelegenheit dafür bietet sich auf dem Nationalen Volkskongress Anfang März.
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