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Wer mit der Inflation flirtet

Einmal im Jahr lädt die US-Notenbank Federal Reserve zu einem internationalen Treffen in die schneebedeckten Berge von Wyoming. In diesem Jahr – die Inflationsraten klettern von einem Hoch zum nächsten – wurde dem Notenbankertreffen besonders viel Aufmerksamkeit zuteil, insbesondere der Rede des Fed-Präsidenten. Axel Weber, der Jerome Powell persönlich kennt, hat seine Eindrücke aus Jackson Hole geschildert.

Zum ersten Mal seit zehn Jahren besuchte ich im September wieder Jackson Hole. Wegen meiner Tätigkeit für die Schweizer Großbank UBS war ich zuvor automatisch ausgeschlossen gewesen. Nun hatte ich wieder eine Einladung bekommen.

Ich bin jemand, der gewöhnlich sehr viel mitschreibt. Kernaussagen der verschiedenen Reden, Zusammenhänge, Gedanken. Doch diesmal blieb meine Mappe dünn. Die wichtigste Rede, die von US-Notenbankpräsident Jerome Powell, war in diesem Jahr sehr kurz gehalten. Sie dauerte ganze neun Minuten.

Die hatten es aber in sich. Man könnte auch sagen: Die Rede war „genagelt“!

Für den Kapitalmarkt beinhaltete sie eine Reihe von verstörenden Nachrichten. Die wichtigste war: „Wir liegen ein ganzes Stück hinter der Kurve“, sind also spät dran mit der Inflationsbekämpfung. Aber, und das lässt sich zweifelsohne als Kampfansage verstehen: „Wir werden nicht ruhen, bis wir wieder vor der Kurve sind. Wir werden nicht ruhen, bis der Job getan ist“. Und nicht, wann die Märkte denken, dass der Job erledigt sein wird – entscheidend ist, dass er getan ist.

Bis der Job getan ist...

Ich fand, das war ein bemerkenswertes Statement für einen Federal-Reserve-Chairman. Hat doch die Fed bis jetzt immer nur kommentiert, was die Wirtschaft tut. Sie war bisher also vor allem Beobachter; jetzt sieht sie sich ganz offensichtlich als zentraler Akteur. So, wie es insbesondere in einer solchen Phase auch sein sollte.

Eines steht für mich fest: Powell möchte nicht als Arthur Burns oder George W. Mitchell in die Geschichte der Fed eingehen; die beiden ehemaligen Fed-Chefs hatten mit ihrer lockeren beziehungsweise sehr zaghaften Geldpolitik in den 1970er-Jahren erheblichen Anteil daran, dass die Inflation damals aus dem Ruder gelaufen ist.

Powell hat in seiner neunminütigen Rede stattdessen sechs, vielleicht auch sieben Mal einen anderen seiner Vorgänger namentlich erwähnt: Paul Volcker. Der hatte Anfang der 1980er-Jahre die Inflation mit kräftigen Zinserhöhungen bekämpft – und so das Problem in den Griff bekommen.

Paul Volker hat nur den Kopf geschüttelt

Ich habe Paul Volcker, der mittlerweile leider verstorben ist, gut gekannt. Er war lange Zeit Chairman der „Group of Thirty“, bei der ich Mitglied bin. Wir haben oft über Geldpolitik diskutiert. In den Jahren vor seinem Tod hat er nur noch den Kopf über die dauerhaft expansive Geldpolitik geschüttelt.

Auch ich bin sehr erstaunt, dass die Notenbanken die Inflation derart haben aus dem Ruder laufen lassen. Ein großer Fehler war sicherlich der Strategieschwenk der Fed inmitten der Corona-Pandemie 2020. Mit dem sogenannten „Average Inflation Targeting“ hat sie sich ihren Spielraum, die Inflation weiter nach oben laufen zu lassen, künstlich erweitert. Preisstabilität wurde plötzlich als Durchschnittsgröße definiert. Wenn die Inflationsrate mehrere Jahre unterhalb des Inflationsziels von zwei Prozent gelegen hat, dann darf sie in den Folgejahren durchaus deutlicher darüber hinaussteigen …

Das ist eine völlig fehldesignte Geldpolitik! Sie ist schlicht „late by design“. Sie ist immer „zu spät“, weil sie von vornherein falsch konzipiert ist.

Das zeigt einmal mehr, dass Notenbanker selten mit „echten Menschen“ reden. Niemand, den ich kenne, ist glücklich, wenn die Inflationsraten überschießen, nur weil sie in den Jahren zuvor unterhalb des Inflationsziels gelegen haben und deshalb in Summe der Durchschnittswert erreicht wird. Insofern ist das ein abstruses Instrument, für dessen Einsatz wir jetzt einen sehr hohen Preis bezahlen.

Geld für jede Krise

Dabei wäre bei einem Blick auf das Preisniveau bereits im Herbst 2020 zu erkennen gewesen, dass es einen Strukturbruch gegeben hatte. Bis zu diesem Zeitpunkt sind die Preise im Durchschnitt um ein bis zwei Prozent jährlich gestiegen. Seither legen sie um ein Vielfaches davon zu, aktuell um bis zu zehn.

Wieso aber sind die Preise so stark gestiegen? Wegen der offensiven Fiskalpolitik einerseits – in den USA und weltweit wurden in den vergangenen Jahren 20 bis 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Krisenintervention ausgegeben.

Andererseits hat in den USA und weltweit die ultraexpansive Geldpolitik die Notenbankbilanzen ebenfalls um 20 bis 25 Prozent ausgedehnt und damit eine solch großzügige Fiskalpolitik erst ermöglicht und finanziert. Einkommenszuwächse wurden so über Transferzahlungen aus der Zukunft in die Gegenwart verlagert – und so die Nachfrage massiv stimuliert. Hinzu kommen die Pandemie-bedingten Lieferkettenprobleme, die das Güterangebot zusätzlich verknappt haben.

Die Notenbanken haben sich verändert

Seit meiner Bundesbankzeit hat sich die Arbeit von Notenbanken strukturell verändert, zumindest ist das mein Eindruck: Die Geldpolitiker interagieren heute sehr viel stärker mit den Kapitalmärkten, als sie das früher getan haben; bei der Kommunikation achten sie vor allem darauf, wie etwas von den Marktteilnehmern aufgenommen werden könnte und wie diese möglicherweise darauf reagieren könnten. Ich halte das für wenig zielführend.

Powell hat in seiner Rede auch daraufhin gewiesen, man solle Inflation erst gar nicht entstehen lassen. Oder wie es einer meiner Vorgänger bei der Bundesbank, Otmar Emminger, einmal formuliert hat: „Wer mit der Inflation flirtet, wird von ihr geheiratet.“

Für diese Lektion ist es aber leider längst zu spät.

Die Auszüge eines Vortrags, den Prof. Dr. Axel A. Weber bei einer Veranstaltung der Flossbach von Storch AG gehalten hat, wurden in der aktuellen Ausgabe der „Position“ veröffentlicht. Axel Weber ist promovierter Volkswirt. Nach seiner Habilitation 1994 hatte er verschiedene Lehrstühle inne, ehe er von 2002 bis 2004 Mitglied des Sachverständigenrats wurde. Zwischen 2004 und 2011 war er Präsident der Deutschen Bundesbank. Inmitten der Eurokrise machte er sich als Mahner für Geldwertstabilität einen Namen. 2012 wechselte er als Präsident an die Spitze des Verwaltungsrats der UBS Group in Zürich und trieb dort die strategische Neuausrichtung des Unternehmens voran. Seit Kurzem berät er den Vorstand der Flossbach von Storch AG in strategischen Fragen.

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