Manche Schwellenländer lassen nach der Corona-Pandemie hohes Wachstum erwarten. Portfoliomanager Michael Altintzoglou erklärt, wie Anleger davon profitieren können.
Herr Altintzoglou, die OECD hat weltweit ein Wachstum von mehr als 5 Prozent für dieses Jahr vorausgesagt. Volkswirtschaften wie Indien oder China sollen, aber wie schon in früheren Jahren deutlich stärker wachsen. Wie sind Ihre Erwartungen?
China nimmt sicherlich eine Sonderrolle ein. Das Land wurde als Erstes von der Pandemie erfasst, hat die Gesundheitskrise effizient bewältigt und konnte sich am schnellsten wieder erholen. Nach den hohen Wachstumsraten in Folge der Erholung dürfte das Wachstumstempo allerdings in den nächsten Quartalen wieder etwas abflachen. Langfristig sind wir aufgrund der Produktivitätssteigerungen, der wirtschaftlichen Ausrichtung auf den großen Binnenmarkt und der verfügbaren Ressourcen – sowohl was die Kapitalbasis als auch das Humankapital angeht – aber optimistisch.
Und Indien?
Das Land hat momentan noch mit einer heftigen Corona-Welle zu kämpfen. Auch wenn die Fälle mittlerweile insgesamt wieder abnehmen, sind sehr viele Menschen auch auf dem Land erkrankt. Das Gesundheitssystem kann die Bevölkerung zeitweise nicht mehr adäquat betreuen. Das setzte auch den Finanzmärkten zu. Wobei sich insbesondere der indische Aktienmarkt und auch die Währung erstaunlich widerstandsfähig gezeigt haben. Wir erwarten beim Wirtschaftswachstum Bremsspuren in den nächsten Quartalen, die möglicherweise auch zu steigenden Kreditausfällen im Bankensystem führen können. Langfristig betrachtet, bietet der Subkontinent aufgrund seiner vorteilhaften demografischen Struktur und den im Vergleich zu anderen Märkten nach wie vor geringen Pro-Kopf-Einkommen aber viel Wachstumspotenzial.
Viele Emerging Markets kämpfen ja weiterhin mit den Folgen der Gesundheitskrise.
Zuletzt waren vielerorts deutliche Erholungstendenzen spürbar. Im Zuge des Ausrollens von Impfkampagnen und durch staatliche Hilfspakete sollten viele Länder mittelfristig wieder auf ihren Wachstumspfad zurückfinden. Allerdings bedeutet hohes Wachstum nicht automatisch, dass auch Aktionäre profitieren.
Wie meinen Sie das?
Viele Schwellenländer verzeichnen seit Jahren hohes Wachstum. Ihre Volkswirtschaften stehen mittlerweile für etwa 40 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. 1980 waren es erst 18 Prozent. Doch an den Kapitalmärkten sind sie bis heute nur mit einem Anteil von lediglich 13 Prozent repräsentiert. Anleger profitieren also nicht automatisch vom höheren Wachstum der Schwellenländer.Vor allem nach der Finanzkrise blieb die Wertentwicklung der Schwellenländer-Börsen lange hinter denen der Industrienationen zurück. Eine junge Bevölkerung und hohes Wirtschaftswachstum allein reichen eben für Investoren nicht aus, um nachhaltig erfolgreich zu sein.
Glauben Sie, dass es im Bereich Schwellenländer mehr lohnt, aktiv Aktien auszuwählen, beziehungsweise professionell auswählen zu lassen, als beispielsweise mit börsengehandelten Indexfonds (ETFs) auf den Aktienindex MSCI Emerging Markets zu setzen?
Wir sind überzeugt, dass wir unseren Anlegern gegenüber passiven Strategien langfristig einen echten Mehrwert bieten können. Aber zugegeben, für vergangene Erfolge gibt der gute Kaufmann nichts. Grundsätzlich vergleichen wir unseren Erfolg zwar mit der Benchmark, beginnen aber die Konstruktion unseres Portfolios immer unabhängig davon. Im Zentrum stehen dabei die Unternehmen. Wir sehen grundsätzlich gute Chancen bei wachstumsstarken Qualitätsaktien aus den Emerging Markets, aber auch bei Unternehmen, die ihren Sitz in den Industrienationen, aber einen signifikanten Teil ihrer Geschäftstätigkeit in den Schwellenländern haben.
Als Emerging-Markets-Investor teilweise in den USA oder in der Eurozone zu investieren, halten Sie also für vertretbar?
Für viele Weltkonzerne sind die Wachstumspotenziale in der entwickelten Welt erschöpft. Als wichtige Absatzmärkte gewinnen Schwellenländer für sie an Bedeutung. Auf der anderen Seite entwickeln die Unternehmen dort neuartige Geschäftsmodelle, die sie immer öfter auch erfolgreich in die Industrienationen exportieren. Insofern verschwimmen die Grenzen zwischen Unternehmen aus Schwellenländern und aus entwickelten Volkswirtschaften immer mehr. Börsenplatz, Unternehmenssitz oder Indexzugehörigkeit eines Unternehmens sind daher aus unserer Sicht zweitranging und Anleger sollten daher diese Möglichkeiten nicht ungenutzt lassen.
Zudem sagten Sie eben, dass Sie Qualitätsaktien bevorzugen. Wieso und was meinen Sie damit genau?
Wir glauben, dass der Markt erstklassige Unternehmensqualität langfristig honoriert. Deswegen nimmt unser Research Team jedes Unternehmen, in das wir investieren (wollen), sehr sorgfältig unter die Lupe. Wir suchen transparente und attraktive Geschäftsmodelle, nachhaltige Wettbewerbsvorteile und ein integres Management, das eine gesunde Unternehmenskultur fördert. Außerdem sind für unseren Ansatz eine robuste Bilanz sowie eine hohe Wahrscheinlichkeit von Umsatzwachstum bei stabilen oder sogar steigenden Gewinnmargen entscheidend.
Und solche Unternehmen, die Sie zu den langfristigen Gewinnern rechnen, finden Sie in Schwellenländern?
Ja, wir machen bei der Analyse keine Kompromisse.
Wo finden Sie solche Titel derzeit?
Covid-19 hat den bereits bestehenden Trend zur Digitalisierung nochmals beschleunigt. Verbringen doch bei einem Lockdown viele Menschen viel Zeit im Internet. Das ist in Deutschland nicht anders als in China. Man kauft häufiger online ein, nutzt womöglich E-Learning, Streamingdienste oder Videokonferenzen. All dies wäre ohne entsprechendes High Performance Computing (HPC), also mit Technologien, mit denen sich komplexe Rechenaufgaben mit hoher Leistung ausführen lassen, nicht möglich. Und die Leistungsanforderungen steigen immer weiter. Deswegen fällt Unternehmen im Umfeld der Chipproduktion eine steigende Bedeutung zu. Aus unserer Sicht wird sich der zunehmende Einsatz von innovativen Technologien als ein dauerhaftes Phänomen erweisen.
Und Unternehmen, die diese Technologien anbieten, finden Sie in China?
Beispielsweise, ja. Seit der Finanzkrise legt die Regierung dort mehr Wert auf die Qualität als auf die Quantität des Wachstums. Das bedeutet, dass dort viel Geld in die Ausbildung investiert wird. Zudem wird die Produktion von Computerchips gefördert, das 5G-Netz massiv ausgebaut. Auch chinesische Unternehmen gaben bereits seit 2014 mehr Geld für Forschung und Entwicklung aus als Firmen in der EU. Die Ausgaben dürften inzwischen mit umgerechnet 616 Milliarden US-Dollar auch die Ausgaben der US-Unternehmen übersteigen.
Das ist erstaunlich. Doch wo genau sehen Sie hier Potenzial?
Vor allem der E-Commerce hat in China seit der Finanzkrise einen großen Stellenwert. Wenn Unternehmen den Geschmack der Menschen treffen, ist das Potenzial enorm. Der E-Commerce-Umsatz in China macht mittlerweile mehr als ein Viertel der gesamten Einzelhandelsumsätze aus. Auf Alibabas Plattformen wurden im letzten Jahr Waren im Wert von mehr als einer Billionen-US-Dollar umgesetzt. Die ausländische Konkurrenz bleibt außen vor, keiner der großen amerikanischen Internetunternehmen konnte in China richtig Fuß fassen. Dafür gibt es inzwischen sehr populäre chinesische Unternehmen, die auch Dienstleistungen wie Friseurtermine oder den Restaurantbesuche vermitteln. Fast nebenbei hat sich das bargeldlose Bezahlen etabliert. Solche Plattformanbieter haben aus unserer Sicht ein enormes Potenzial, weil ihre Geschäftsmodelle leicht skalierbar sind und sie ihre Marktanteile rasch steigern können.
Aber im Bereich E-Commerce gibt es nicht nur Erfolgsmeldungen. Die chinesische Regierung hat im vergangenen Jahr den Börsengang von Ant überraschend verhindert, einer Tochtergesellschaft der Onlineplattform Alibaba. Das sorgte für Schlagzeilen.
Ja, die chinesischen Plattform-Unternehmen wurden in den vergangenen Monaten stärker von den staatlichen Regulierungsbehörden beäugt. Letztlich zeigt dies aber auch die Stärke dieser Geschäftsmodelle. Manche dieser Unternehmen haben ihre Marktanteile in der Coronakrise stark ausgebaut und eine dominante Marktstellung erreicht. Sie dürften regulatorische Spielräume zukünftig weniger stark ausreizen. Die chinesische Regierung weiß aber auch, dass sie auf einen dynamischen und innovativen Technologiesektor angewiesen ist, wenn das Land international wettbewerbsfähig bleiben möchte. Insofern gehen wir davon aus, dass die Regierung die Geschäftsmodelle der Unternehmen nicht ernsthaft schädigen wird.
Aber Sie würden nicht nur in chinesische Technologieanbieter investieren, oder?
Nein, Diversifikation ist für uns ein wesentlicher Investmentgrundsatz. Geografisch gesehen finden sich auch in weniger entwickelten Schwellenländern, wo mit der Zahl der Handynutzer meist auch der Konsum steigt, interessante Unternehmen. So erschließen einige Anbieter die Inselstaaten Südostasiens. Und in Südamerika entdecken immer neue Käuferschichten das E-Commerce. Auch bezüglich der Branchen lohnt es sich, auf mehrere Bereiche zu setzen. So sehen wir beispielsweise auch bei Unternehmen der Bereiche Nicht-Basiskonsumgüter, Finanzen und Healthcare gute Chancen. Nehmen Sie etwa Luxusgüterhersteller, beispielsweise im Kosmetikbereich. Sie profitieren von der aufstrebenden Mittelschicht und deren zunehmenden Wohlstand in vielen Schwellenländern. Allein chinesische Verbraucher machen inzwischen mehr als ein Drittel des Gesamtumsatzes von manchen Unternehmen im Premium-Kosmetik-Segment aus. Einige wickeln dabei etwa in China die Hälfte ihres Geschäfts online ab.
Technologieführer aus den Schwellenländern sehen Sie aber vor allem im E-Commerce?
Ja, aber auch beim bargeldlosen Bezahlen und weiteren Finanzdienstleistungen die online angeboten werden. In Lateinamerika gestaltet sich der Zugang zu klassischen Bankkrediten insbesondere für kleinere Unternehmen nach wie vor sehr schwierig und ist mit hohen Kosten verbunden. In diese Lücke stoßen Fintech-Unternehmen, die ihren Kunden schnelle, innovative und teils kostengünstigere Lösungen anbieten. Nur durch den Einsatz von neuen Technologien ist dies überhaupt erst möglich geworden. So werden Kundengruppen erschlossen, die vorher vollkommen vernachlässigt wurden. Insofern leisten diese Unternehmen auch einen wertvollen Beitrag zur Finanzintegration. Auch im Bereich Online-Games geben Unternehmen aus Schwellenländern mittlerweile den Takt vor.
Vielen Dank für das Gespräch.
Michael Altintzoglou ist Portfoliomanager bei der Flossbach von Storch AG, Köln.
Verschiedene Fachbegriffe aus der Welt der Finanzen finden Sie in unserem Glossar erklärt.
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