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„Falsche Sicherheit“

- Thomas Lehr

In Krisenzeiten möchten viele Anleger ihren Aktienbestand absichern. Dabei können aber neue Risiken entstehen, erklärt Kapitalmarktstratege Thomas Lehr im Interview.

Herr Lehr, in den vergangenen Wochen gab es Verluste an den Börsen. Lohnt es sich jetzt, den Aktienbestand abzusichern?

Thomas Lehr: Das ist tatsächlich momentan eine der Fragen, die uns oft gestellt werden. Wir verfolgen eine Anlagestrategie, die stark auf Sachwerte ausgerichtet ist und da ist es nachvollziehbar, dass bei Kursrückgängen der Ruf nach Absicherung lauter wird. Aber ganz so einfach ist es nicht.

Erklären Sie uns das bitte etwas genauer.

Unser starker Fokus auf Aktien hat ja einen Grund. Dieser liegt in der sich immer weiter vom Zins entfernenden Inflation. Nur mit nominalen Anlagen, ganz gleich ob Cash oder Anleihen, wird langfristig kaum jemand mehr in der Lage sein, die Kaufkraft seines Vermögens zu erhalten. Die jüngsten Entwicklungen ändern daran nichts – im Gegenteil steht zu befürchten, dass sich die Inflation temporär noch einmal weiter vom Zins entfernt. Wer jetzt sein Portfolio taktisch gegen die Kursschwankungen eben jener Aktien schützt, die langfristig Teil der Lösung sind, geht ein anderes, möglicherweise sehr viel substanzielleres Risiko ein.

Aber tatenlos zuschauen kann ja auch keine Lösung sein?

Tatenlos zuschauen wäre keine gute Idee, das stimmt. Die Frage ist aber immer, wie „Aktivität“ übersetzt wird. Der Reflex, bei starken Kursschwankungen zu reagieren, liegt in der Natur der meisten Anleger und ist gerade bei institutionellen Anlegern stark ausgeprägt. Nicht selten steht die Frage: „Für was bezahle ich Sie eigentlich?“ unüberhörbar im Raum – selbst dann, wenn sie nicht ausgesprochen wurde. Das vielzitierte Risikomanagement beginnt aber vor der Investition und darf sich nicht auf hektisches Reagieren beschränken, wenn sich Risiken materialisieren, die man zuvor nicht bedacht oder für unwahrscheinlich erachtet hat.  

Es heißt immer „Aktivität ist kein Selbstzweck“. Das gilt somit auch für die Absicherung?

Zumindest müssen Anleger und Anlegerinnen klar definieren, gegen was genau sie sich absichern wollen. Sind es lediglich Kursschwankungen, die ich eliminieren möchte, weil sie mich nervös machen? Dann war meine Anlagestrategie vielleicht von vorneherein etwas zu mutig. Oder ist eine Situation eingetreten, in der sich die Chancen und Risiken eines Investments oder großer Teile des Portfolios zu meinen Ungunsten verschieben? Dann muss ich natürlich reagieren. Und zwar möglichst konsequent.    

Wie können sich denn Anleger, die einen hohen Aktienanteil im Portfolio haben, vor Kursschwankungen schützen?

Kursschwankungen sind in einer Welt ohne Zins in Zeiten hoher Inflation der Preis, der zu zahlen ist, wenn die Kaufkraft eines Vermögens langfristig  mindestens erhalten werden soll. Abgesehen davon möchte ich vor einem beliebten Denkfehler warnen: Aktien sind eben nicht gleich Aktien! Von der Aktienquote lässt sich nicht pauschal ein Absicherungsbedarf, geschweige denn dessen Umfang, ableiten. Die Frage ist also nicht: „Wie hoch ist die Aktienquote?“, sondern: „In welchen Unternehmen bin ich investiert?“. Anleger können bereits mit 20 Prozent Aktienquote einen großen Schaden anrichten, umgekehrt aber mit 80 Prozent ein vergleichsweise stabiles Portfolio zusammenstellen…

…in dem man den Anteil europäischer Unternehmen klein hält?

Auch das wäre mir zu pauschal und hat wieder etwas mit „Quote“ zu tun. Aber klar ist auch: Der US-Aktienmarkt ist nicht nur sehr groß, sondern hat im Vergleich zum europäischen Aktienmarkt eine deutlich geringere zyklische Komponente. Das macht ihn defensiver. Hinzu kommt, dass die Wachstumsraten im Aggregat in den USA nicht nur stabiler, sondern auch höher sind. Das gilt explizit auch für die vergangenen 20 Jahre, in denen Europa allgemein und Deutschland ganz speziell von der Globalisierung profitiert haben. Dadurch haben allerdings auch die Abhängigkeiten in den zurückliegenden Jahrzehnten deutlich zugenommen. Und zwar nicht nur beim Gewinn, sondern auch in puncto Lieferketten. Wenn diese Abhängigkeiten nun hinterfragt werden, liegt es auf der Hand, dass das Auswirkungen auf die Bewertungen haben muss. Das sollte aber keine Erkenntnis sein, die einem erst in den vergangenen Wochen gekommen ist.

Inwiefern kann ein hoher US-Dollar-Anteil im Portfolio eine Absicherung sein?

Das ist ein sehr wichtiger Punkt! Vor allem in Deutschland wird immer noch überwiegend vom „Fremdwährungsrisiko“ gesprochen. Die oben beschriebene Ausgangslage, die größere Beinfreiheit der US-Notenbank und die Tatsache, dass der US-Dollar in Krisenphasen als Währung bevorzugt wird, kann ein europäisches Portfolio mit einem hohen Anteil an US-Dollar beinahe automatisch stabiler machen. Nicht nur über die Aktienkomponente, sondern auch über die Währung.  Das gilt aber natürlich auch für den Fall einer Erholung. Die Stabilität von gestern wird morgen dann schnell als Bremse empfunden, was wieder einmal zeigt, dass eine Absicherung nicht nur in eine Richtung wirkt.

Noch einmal zurück zu den Absicherungen der Aktien. Welche Möglichkeiten gäbe es für den, der taktisch agieren möchte?  

Die Frage nach dem „Wie“ ist nicht trivial. „Optionen“ sind teuer und bergen das Risiko, dass man Geld selbst dann verliert, wenn nichts oder zu wenig passiert. Bei einem „Future“ muss die Frage nach dem „Underlying“ beantwortet werden, also welcher Aktienmarkt als Basiswert dienen soll. Bei einem Portfolio, das sehr viele deutsche Aktien beinhaltet, würde man wohl einen Dax-Future wählen. Ein internationales Aktienportfolio dagegen bekäme durch eine nennenswerte Short-Position im DAX schnell Schlagseite in die andere Richtung. Ich habe in den vielen Jahren genügend Anleger kennengelernt, die ihr Portfolio wie im Rausch gegen den Weltuntergang abgesichert haben und zu spät feststellten, dass eine Welt, die sich weiterdrehte, dann für ihr Portfolio zum größten Risiko wurde.

Das gilt dann auch für die einfachste Form der Absicherung - den Verkauf?

Ja, natürlich. Gerade in einer Welt mit negativen Realrenditen. Gilt das Motto: „Taktik frisst Strategie“, landen Anleger im Cash. Kurzfristig haben sie dann scheinbar keine Sorgen mehr – zumindest solange der Markt fällt. Aber sie müssen eben zwei Mal richtig liegen. Nicht nur der Ausstieg muss gelingen. Irgendwann müssen sie wieder rein ins vermeintliche Risiko. Oder der Nominalwert der Kasse schmilzt fortan wie das vielzitierte Eis in der Sonne.

Herr Lehr, vielen Dank für das Gespräch.

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