Das Anlageumfeld bleibt herausfordernd. Im Interview spricht Kurt von Storch über Risiken und Crashgefahren – und was die für Anleger bedeuten.
Krieg, Inflation, Klimawandel, Pandemie – immer noch. Haben Sie als Investor so etwas schon einmal erlebt?
Anzahl, Kombination und Verflechtung der verschiedenen Krisen sind sicherlich außergewöhnlich.
Der ein oder andere fühlt sich an die Jahrtausendwende erinnert – demnach müssten die Kurse an den Aktienmärkten noch weiter abrutschen ...
Ich wäre vorsichtig mit derartigen Vergleichen. Die Geschichtsbücher liefern zwar für jede Marktphase Parallelen und mögliche Gemeinsamkeiten; die Unterschiede sind aber mindestens genauso groß und ebenso zahlreich.
Also besser nicht vergleichen?
Ich mag das niemandem verbieten. Es ist nur menschlich, zuallererst nach möglichen Orientierungspunkten in der Vergangenheit zu suchen – nur kann das zuweilen auch in die Irre führen.
Anders gefragt: Sie sehen derzeit keinen Crash kommen?
Niemand weiß, was morgen oder übermorgen passieren wird. Insofern lässt sich ein Crash niemals ausschließen. Aber was hilft mir dieser Befund als Anleger?
Sagen Sie es uns?
Wenn ich in Gedanken immer beim nächsten Crash bin, dann werde ich vermutlich niemals auch nur einen einzigen Euro in Aktien investieren. Und vermutlich auch keinen in Anleihen. Aber wenn ich das nicht tue, habe ich irgendwann ein großes Problem. Geldanlage sollte konstruktiv sein, sie muss es sogar.
Wie meinen Sie das?
In den kommenden Jahren geht es an der Börse weniger darum reich zu werden, sondern vor allem darum, das, was man bereits an Vermögen aufgebaut hat und noch aufbauen möchte, vor der Inflation zu schützen, die Kaufkraft zu erhalten. Das wird nicht ohne Sachwerte funktionieren, das geht nicht ohne die Aktien guter Unternehmen.
Sie gehen nicht davon aus, dass die Notenbanken die Teuerung in den Griff bekommen?
Wenn wir mit „in den Griff bekommen“ meinen, dass die Inflationsraten schon bald wieder auf oder unter die Marke von zwei Prozent fallen – eher nicht, nein.
Wie lauten denn Ihre Inflationsprognosen für die Jahre 2023 und 2024?
Wir halten nicht allzu viel von Jahres- beziehungsweise Punktprognosen. Eigentlich kann der Prognosegeber dabei nur daneben liegen. Damit sollen sich andere herumärgern. Wir versuchen stattdessen, auf die übergeordneten Trends zu schauen, auf strukturelle Faktoren, die die Inflationsentwicklung langfristig beeinflussen könnten – in die eine wie die andere Richtung. Es geht uns also um mehr um grobe Orientierung denn um vermeintlich präzise Vorhersagen. Mehr geht nicht, da sollten wir uns und unseren Kunden und Anlegern nichts vormachen!
Können Sie Beispiele für Trends und Faktoren nennen?
Wir haben zuletzt oft von den drei „Ds“ gesprochen – Demografie, Deglobalisierung und Dekarbonisierung. All das kostet Geld und dürfte dazu führen, dass die Inflationsraten künftig strukturell höher ausfallen werden als in der Vergangenheit. Nicht zehn Prozent, vermutlich auch nicht sieben oder acht, wohl aber deutlich mehr als zwei Prozent.
Wenn wir auf die großen Aktienindizes schauen, auf deren Wertentwicklung in den vergangenen zwölf Monaten, dann haben die Anleger sogar ein doppelt-dickes Problem: Die Inflation einerseits und das dicke Minus bei Aktien und auch bei Anleihen andererseits …
Die Frage lautet wie immer: Sind die Verluste am Aktienmarkt dauerhaft und damit ein echtes Risiko für die Anleger? Bei dem ein oder anderen Unternehmen dürfte die Antwort „ja“ lauten. Nehmen wir beispielhaft einige Tech-Unternehmen, …
… denen während der Corona-Hochzeit von Investoren aberwitzige Wachstumserwartungen zugebilligt wurden ...
So ist das, ja. Nur hilft uns der Rückspiegel an der Börse nicht weiter.
Was hilft dann?
Auf Unternehmen zu schauen, die über ein robustes, krisenerprobtes Geschäftsmodell und ausreichend Preissetzungsmacht verfügen. Ich bin zuversichtlich, dass sich deren Kurse langfristig positiv entwickeln werden. Das funktioniert aber nicht über Nacht – es braucht Zeit und damit Geduld. Und, nicht zuletzt, eine relativ ausgeprägte Toleranz gegenüber Kursschwankungen. Sie müssen Kursrücksetzer emotional aushalten können. Anders geht es leider nicht.
Würden Sie sagen, dass die Auswahl der einzelnen Anlagen heute wichtiger denn je ist?
Dem würde ich zumindest nicht widersprechen.
Was ist mit Anleihen?
Die sind heute mitunter deutlich attraktiver als noch zu Jahresbeginn. Wobei es auch da auf die Auswahl ankommt. Wer genau hinschaut, wird sicherlich die ein oder andere Gelegenheit bekommen.
Der Crash am Anleihemarkt war bis dato beispiellos. Derartige Kursverluste, noch dazu in so kurzer Zeit, hatte es zuvor nicht gegeben. Wie haben Sie das erlebt?
Unmittelbar. Es gab in dieser Phase keinen Ort; an dem Sie sich als Investor verstecken konnten. Selbst wenn Sie als Portfoliomanager vieles richtig gemacht, etwa zeitig die Duration und damit das Risiko bei Anleihen reduziert haben, hat ihnen das nur bedingt geholfen.
Früher konnten sich Anleger auf eines verlassen: Wenn es bei Aktien kracht, stabilisieren Anleihen guter Emittenten ein gemischtes Portfolio. Warum hat das diesmal nicht funktioniert?
Weil das Renditepotenzial für Anleihen nahe der Nulllinie begrenzt war. Und wenn dann erstmals seit Jahren das Zinsniveau deutlicher zulegt, weil die Notenbanken die Inflation im Zaum halten müssen, dann reichen in einem solchen Umfeld selbst moderate Zinsanpassungen aus, um die Kurse bereits begebener Anleihen deutlich zu drücken. Wir haben in dieser Phase sehr oft und sehr viel mit unseren Kunden gesprochen, insbesondere mit denen, die ihr Geld eher defensiv, also zu größeren Teilen in Anleihen anlegen.
Wie haben die reagiert?
Insgesamt sehr positiv, was uns unheimlich gefreut hat und auch dankbar macht. Viele kennen uns schon sehr lange. Sie schätzen, dass wir unsere Anlagestrategie und die dahinter liegende Philosophie sehr transparent kommunizieren, gerade in schweren Zeiten. Es versteht sich von selbst, dass wir diesen Vertrauensvorschuss bestätigen wollen.
Vielen Dank für das Gespräch.
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