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Der Markt ist schneller

- Thomas Lehr

Die EZB möchte die Inflation bekämpfen und hebt die Leitzinsen (ein wenig) an. Gleichzeitig brechen die Renditen der Anleihen ein. Ein Erklärungsversuch.

Wer in diesen Tagen in der Zeitung von der „historischen Zinserhöhung der EZB“ liest, dürfte sich beim Blick auf die Renditeentwicklung am Bondmarkt verwundert die Augen reiben. Während die Europäische Zentralbank (EZB) gestern ihre drei Leitzinssätze um jeweils 0,5 Prozentpunkte angehoben hat, vollzieht sich am Markt parallel so etwas wie die „Zinswende nach unten“.

Bis zu einem Satz von gut 1,9 Prozent waren die Renditen für 10-jährige deutsche Bundesanleihen bis Mitte Juni gestiegen. Seither fallen sie – und mit der Entscheidung am Donnerstag in Frankfurt scheint der Rückgang noch einmal an Dynamik zu gewinnen. Inzwischen hat sich die Rendite fast halbiert.

Wenn man einen ähnlich starken Renditerückgang finden möchte, dann muss man schon in die Wochen rund um den globalen Corona-Lockdown (Februar/März 2020) blicken. Damals fiel der Rückgang mit 75 Basispunkten sogar noch etwas milder aus als derzeit.  War es das also schon mit der Hoffnung auf (beziehungsweise der Sorge vor) steigenden Zinsen?

Das Zinswendchen

Eines ist klar: die jüngste Zinsanhebung kann nur der erste Schritt gewesen sein. Mit Leitzinsen knapp um die Marke von null Prozent lässt sich wohl kaum eine Inflation bekämpfen, die in der Eurozone zuletzt mit etwa acht Prozent gemessen wurde. Von Ausreißern wie dem Preisanstieg in Estland (über 21 Prozent!) ganz zu schweigen.

Klar ist aber auch, dass der Handlungsspielraum der EZB eng bemessen ist. Schon gestern musste die Notenbank zusammen mit ihrem ersten Zinsschritt ein Instrument mit der Abkürzung „TPI“ (kurz für Transmission Protection Instrument“) beschließen, das gezielte und unbegrenzte Anleihekäufe einzelner Länder ermöglicht. Etwas zynisch formuliert: Die EZB erhöht die Zinsen, hat aber gleichzeitig Sorge, dass diese tatsächlich steigen könnten.

Zwar soll das Instrument nur zum Einsatz kommen, um „ungerechtfertigten, ungeordneten Marktdynamiken entgegenzuwirken, die eine ernsthafte Bedrohung für die Transmission der Geldpolitik im Euro-Raum darstellen“. Ab wann die Rendite eines Staates wie Italien, das von einer Regierungskrise in die nächste schlittert und eine doppelt so hohe Schuldenquote wie Deutschland aufweist, ein „ungerechtfertigtes“ Niveau erreicht, ließ EZB-Präsidentin Christine Lagarde offen. Die EZB dürfte mit dem Programm darauf setzen, selbst nie in die Verlegenheit zu kommen, diese Frage tatsächlich beantworten zu müssen.  

Hinzu kommt, dass die EZB-Präsidentin bei einer Pressekonferenz mehrfach betonte, dass sich der wirtschaftliche Ausblick für die Eurozone zuletzt deutlich eingetrübt habe. Wohlgemerkt: noch vor der ersten Zinserhöhung. Neben dem Krieg in der Ukraine und den bekannten Problemen bei Liefer- und Logistikketten wirkt hier auch der Preisanstieg an sich.

Die Inflation zeigt Wirkung

Während die einen befürchten, dass sich die Inflation gewissermaßen durch sich selbst dynamisieren könnte (Stichwort: Lohn-Preis-Spirale), gibt es ein inzwischen ebenso großes Lager, das argumentiert, die Inflation ersticke sich quasi selbst. Tatsächlich können steigende Preise zu einer Kaufzurückhaltung führen, vor allem dann, wenn ihr Ursprung nicht in einer heiß gelaufenen Konjunkturdynamik liegt.

Aber nicht nur steigende Preise haben eine gewisse Reflexivität. Auch steigende Zinsen dämpfen das Wirtschaftswachstum – und genau das ist ja das Ziel. Wenn heute die Renditen zwei Jahre laufender US-Staatsanleihen bei etwa drei Prozent rentieren, dann spiegelt sich darin die Erwartung wider, dass dem Leitzinsanstieg in den USA weitere Zinsschritte folgen. Werfen zehn Jahre laufende US-Staatsanleihen zur gleichen Zeit hingegen nur noch 2,8 Prozent ab, dann erkennt man hier die Erwartung, dass diese Zinsschritte früher oder später eine Wirkung zeigen.

Und da die Zinsanhebungen überall auf der Welt auch in der Eurozone wirken, muss die EZB selbst womöglich nicht einmal den schmalen Handlungsspielraum ausnutzen, den sie hat. Es müssen sich eben nur genügend Notenbanken finden, die den Preisanstieg entschieden(er) bekämpfen.

So oder so – dem Ausflug der EZB in Richtung höherer Zinsen sind Grenzen gesetzt. Mit dem Zinsschritt am Donnerstag wird die EZB nicht zum Trendsetter, sondern vollzieht lediglich das, was an den Märkten längst Realität ist.

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