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Auf der Suche nach Rendite

Wirtschaftsmotor, Supermacht, Parteidiktatur. Wer sich für globale Trends interessiert, der blickt nach China. Die Analystin Shenwei Li berichtet von ihren Erfahrungen, subjektiv, ganz aus dem Blickwinkel einer Chinesin. Diesmal geht es um die mittlerweile ziemlich aufwendige Suche nach auskömmlichen Renditen.

Der nächste Boom lässt auch bei uns (wohl noch länger) auf sich warten, und der Aktienmarkt enttäuschte zuletzt – und damit auch die Renditen von chinesischen Investmentfonds. Auch der Immobilienmarkt hat, um es mal vorsichtig zu formulieren, die früheren Hochs hinter sich gelassen. Wohin also mit dem Geld, wenn es etwas anzulegen gibt?

In solchen Zeiten agieren viele Menschen auch bei uns vorsichtig. „Ich kann selbst mit 0,2 Prozent für Tagesgeld gut leben. Immerhin habe ich keine Verluste wie mit Aktien oder Fonds“, hieß es unlängst (etwas resigniert) in den sozialen Medien.

Zögerliche Zinssenkungen

Und tatsächlich: Im März 2023 machten festverzinsliche Sparkonten etwa 70 Prozent der „Investments“ der chinesischen Haushalte aus. Doch während in der westlichen Welt die Zinsen steigen, hat unsere Notenbank, die People’s Bank of China (PBOC), die Zinsen allein in diesem Jahr schon zweimal gesenkt. Seit dem Jahr 2016 gab es insgesamt sieben Zinsschritte – alle leider nach unten.

Die Zinssenkungen kamen bei den Kunden erst mit Verspätung an. Denn die Banken durften ihren Einlagenzins innerhalb eines bestimmten Korridors lange selbst bestimmen. Da die Konkurrenz unter den Finanzhäusern groß ist, erhielten die Sparkunden eigentlich immer mehr als „den Korridor“.

Seit April 2022 ist damit aber Schluss. Nun müssen sie den Einlagenzins anhand der Rendite der 10-jährigen chinesischen Staatsanleihe und der 1-jährigen Kreditzinsen für Kunden mit Topbonität festlegen.

Die neue „Zins-Planwirtschaft“ unserer Notenbank setzte dabei auf Zuckerbrot und Peitsche. Zunächst wurden die Banken, die diese Anpassung zeitnah vollzogen haben, belohnt und konnten sich über die PBOC zu günstigeren Konditionen refinanzieren. Trotzdem zogen vor allem kleine, regionale Institute zunächst nicht mit. Erst als sie, etwa ein Jahr später, Nachteile bei der Refinanzierung befürchten mussten, senkten auch sie den Einlagenzins, so dass es am „Markt“ derzeit kaum noch Unterschiede bei den Sparzinsen gibt.

Und so werden aktuell von Banken nur noch die besagten 0,2 Prozent für Tagesgeld, 1,55 Prozent für 1-jähriges und 2,25 Prozent per annum für 5-jähriges Festgeld offeriert. Das erscheint vielen, auch wenn wir in China derzeit keine Inflation haben, wenig attraktiv.

Auf der Suche nach Rendite

In diesem Umfeld wenden sich die Sparer zunehmend einem klassischen Vorsorgeinstrument zu, dass in einigen westlichen Ländern mehr und mehr aus der Mode gekommen ist: den kapitalbildenden, vor allem anleihebasierten Lebenspolicen. Nach drei schwachen Jahren ab 2020 steigen die Prämienzahlungen seit Januar dieses Jahres kontinuierlich an. Im Januar 2023 lag der Zuwachs zum Vorjahr bei plus vier Prozent, im Juni schon bei plus 13 Prozent.

Auf Monatsbasis lag die Wachstumsrate im Juni 2023 damit sogar bei 30 Prozent. Und betrachtet man nur die Lebensversicherung (exklusive der damit oft verknüpften Unfall- und Krankenversicherungen), dann lag die Wachstumsrate im Juni sogar bei 42 Prozent.

Interessant ist auch, dass die durchschnittlich gezahlten Prämien pro Police von 23.000 Renminbi im Jahr 2019 (umgerechnet rund 2.900 Euro) auf 35.000 Renminbi im Jahr 2020 (etwa 4.500 Euro) gestiegen sind. Hochrechnungen zufolge könnten es Mitte des Jahres bereits etwa 59.000 Renminbi (rund 7.500 Euro) sein. Vor allem ältere Menschen zeigen sich begeistert – so auch meine Eltern, die etwa von einem Treffen im Freundeskreis enthusiastisch berichteten, dass schon mehrere Bekannte in solche Produkte eingestiegen waren.

Doch ganz so rosig ist es nicht. Wir haben uns mal die Konditionen der Produkte etwas genauer angesehen. Und siehe da: Der Regulator hat den Garantiezins bereits deutlich gesenkt – und zwar von 4,01 Prozent vor dem Jahr 2020 auf 3,5 Prozent Mitte 2023. Trotzdem werden den Interessenten vom Vertrieb weiterhin durchschnittlich vier Prozent per annum quasi versprochen. Ob diese Zielmarke erreicht werden kann, ist abhängig von dem variablen Zinsanteil.

Das erscheint aufgrund der zuletzt deutlich schlechteren Zinssituation in China aber wenig realistisch. Die Verkäufer präsentieren dennoch unverdrossen das Best-Case-Szenario. Mich hat die Begeisterung meiner Eltern überrascht. Gelten doch Versicherungsprodukte in den Augen vieler Chinesen fast schon als eine Art „guăipiàn“, was man frei als „Gaunerei“ übersetzen könnte, weil die hehren Versprechungen in der Praxis allzu oft nicht eintreffen.

Trotzdem haben sich Lebenspolicen in China langsam zu einer Art Must-have für ältere Privatanleger entwickelt. Das Beispiel zeigt: Die Suche nach Rendite kann blind machen. Es kommt (auch in China) aufs Kleingedruckte an.

Shenwei Li ist Analystin in Shanghai. Ihre Kolumne ist in der aktuellen Position erschienen. Das Magazin können Sie hier kostenfrei abonnieren.

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