Die Kolumne der Analystin Shenwei Li gibt einen Einblick in den Alltag in China. Diesmal geht es um knappe Kassen und die neue Umverteilung des Wohlstandes.
In China scheint immer alles sehr geordnet zuzugehen. Die Wirtschaft wächst schon seit vielen Jahren, ebenso der Wohlstand der Menschen. Beim genaueren Blick zeigen sich aber auch Probleme, die vor allem dann auftauchen, wenn der Kuchen, der zu verteilen ist, nicht so schnell wächst, wie erhofft.
Die Komplexität des Lebens und der Wirtschaft kann manchmal eine Planwirtschaft auch dann überfordern, wenn sie gleichfalls auf den freien Markt setzt. Eine Folge können dann neue Regeln sein, die zumindest einen Teil des Volkes beruhigen sollen. Umverteilung, zumindest, wenn sie von oben nach unten geschieht, kommt bei vielen dann gut an. Auch in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt.
Der Immobilienmarkt in China kühlt derzeit merklich ab, nicht nur wegen der Krise beim Immobilienentwickler Evergrande. Die Preise sind in den vergangenen Jahren massiv gestiegen, in einigen Regionen kann man wohl von einer Blase sprechen. Wenn die Preise dann plötzlich wieder fallen, belastet das nicht nur die Vermögensplanung der Eigentümer und Investoren. Eine Immobilienkrise kann sich wie eine Kaskade durch die Wirtschaft ziehen. Insolvenzen und Arbeitslosigkeit sind die Folge, Banken sind betroffen, aber auch die kommunalen Haushalte.
So brechen derzeit bei einigen unserer Lokalregierungen die Steuereinnahmen und Erlöse aus Grundstücks- und Immobilienverkäufen weg. Guter Rat ist nun teuer. Denn die Regionen können sich nicht einfach auf dem freien Kreditmarkt refinanzieren (das verhindern die Vorgaben der zuständigen Provinzen). Lokale Immobiliensteuern gibt es nicht. Einige Regionen stecken daher in beachtlichen finanziellen Nöten und müssen sparen. Vor allem strukturschwächere Bezirke im küstenfernen Inland sind betroffen. Berichte über obskure Sonderabgaben für lokale Händler oder Fabrikbesitzer machen die Runde. Ebenso wie Kürzungen von Gehältern und Wohnungszuschüssen sowie die Streichung bereits ausgeschriebener Stellen für Beamte. Hinzu kommt die seit Anfang des Jahres wieder schlechtere Corona-Lage, die mit strengen Lockdowns und teuren Testaktionen zusätzlich für steigende Kosten sorgt.
Die Zentralregierung verschärft die Situation. Denn Peking setzt auf nationale Steuersenkungen und -stundungen, vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen. Chinas Brutto-Steuerlast ist von 18,7 Prozent im Jahr 2012 auf 15,2 Prozent im Jahr 2021 gesunken. Zuletzt erklärte die Regierung, dass die eigentlich bis Ende 2021 geplante Übergangsphase der Einkommenssteuerreform bis Ende 2023 verlängert werden soll. Bürger können also darauf hoffen, zwei weitere Jahre von reduzierten Abgaben zu profitieren.
Damit die Regionen aber handlungsfähig bleiben, müssen neue Einnahmen her. Ein (bei den weniger vermögenden Bürgern) populärer Ausweg heißt Umverteilung. Der Begriff wird in diesem Jahr sicher häufiger zu lesen sein und betrifft vor allem Personen und Branchen, bei denen es bislang finanziellen Spielraum gab. Etwa beim florierenden Onlinehandel.
Wenn der Verkauf über Influencer läuft, werden deren Verkaufskommissionen neuerdings nicht mehr als steuerlich begünstigte Unternehmensgewinne, sondern als höher zu versteuerndes privates Einkommen verbucht. Zudem werden Influencer, bei denen bislang für Verkaufskommissionen kaum Steuern anfielen, jetzt direkt über ihre Plattformen zur Kasse gebeten. Die in China vormals sehr beliebte „Königin der Influencer“ Huang Wei musste etwa eine Strafzahlung von 1,3 Milliarden Yuan (umgerechnet rund 180 Millionen Euro) leisten.
Auch Großverdiener auf dem Finanzmarkt müssen ab 2022 mit höheren Steuern rechnen, die bei Erträgen von Private-Equity-Geschäften, also von Beteiligungen an Unternehmen, die nicht börsennotiert sind, anfallen. Hier kann der Steuersatz von weniger als zehn Prozent (Unternehmenssteuer) auf bis zu 35 Prozent (private Einkommenssteuer) steigen. Betroffene wurden bereits dazu aufgefordert, sich bei ihren regionalen Finanzämtern zu melden. Entsprechende Unterlagen lägen schon bereit.
Die Richtung ist klar. Reiche Leute werden stärker besteuert und arme Leute weniger (oder später). Die neue Umverteilung dürfte wohl ohne größere Probleme in die Praxis umgesetzt werden. Bei der Kontrolle hilft „Big Data“. Unsere Finanzbehörde berichtete zuletzt, dass sie bei der Aufdeckung von Steuerhinterziehungen wesentlich effizienter geworden sei. Die Ämter würden verstärkt Datenpakete analysieren und wären immer seltener auf Whistleblower oder Steuerfahnder angewiesen. Die Anzahl der Steuerprüfungen sei 2021 um 37 Prozent gefallen, während sich die Summe der Nachforderungen verdoppelt hätte.
China steht eben für Effizienz. Nicht nur in der Wirtschaft, auch bei der Umverteilung und Steuerfahndung.
Shenwei Li ist Analystin in Shanghai. Ihre Kolumne ist in der aktuellen Position erschienen. Das Magazin können Sie kostenfrei abonnieren.
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