Vor 25 Jahren starb der legendäre Börsenerklärer André Kostolany. Unvergessen sind etwa seine Warnungen vor einem Crash am Neuen Markt – er wurde damals, kurz vor seinem Tod, dafür ausgelacht. Was er wohl heute zur Börse sagen würde? Ein fiktives Interview mit Originalzitaten.
Herr Kostolany, die Staatschulden rücken wieder in den Fokus der Investoren, insbesondere in der Eurozone. Was würde bei einer plötzlichen Pleite eines Mitgliedstaates passieren?
Diese Frage wurde mir früher hunderte Male gestellt, nur eben zu anderen Ländern, und meine Antwort bleibt immer dieselbe. Erstens: Nichts würde geschehen. Und zweitens: Das Wort ‚plötzlich‘ ist, gelinde gesagt, leicht unpassend. Viele Länder sind praktisch seit Jahren zahlungsunfähig. Drittens: Sie werden ihre Zahlungen aus dem einfachen Grunde nicht einstellen, weil die Gläubigerländer immer neue Kredite gewähren, damit sie die Zinsen bezahlen.
Werden sie den Schuldenberg jemals abtragen können?
Das können wir sowieso vergessen. Die Schuldner-Gläubiger-Kette kann kurz oder lang sein, die letzten Gläubiger sind noch immer die Notenbanken. Die Europäische Zentralbank (EZB) für die Euro-Länder, die Federal Reserve (Fed) für die USA und die Bank of England für Großbritannien. Und diese sind niemandem etwas schuldig, außer ihrem Gewissen. Sie haben die Notenpresse und haben stets so viel Geld zur Verfügung, wie sie es für nötig halten, um alle Zahlungsverpflichtungen zu sichern. Wozu soll man auch puritanisch Bilanz machen, wenn es auch ohne geht?
Aber ein solches Schuldengebilde muss doch irgendwann zusammenfallen wie ein Kartenhaus.
Mit etwas Zynismus würde ich behaupten, dass das ganze kapitalistische System eine Illusion, vielleicht sogar ein Schwindel ist, aber eben ein gut gemachter. Gott soll geben, dass er noch lange besteht.
Es gibt Ökonomen, die fordern nicht zuletzt wegen der aufgeblähten Notenbankbilanzen und dem schwindenden Vertrauen in die Papierwährungen eine Rückkehr zum Goldstandard.
Ich glaube nicht daran, und es wäre auch der größte Unsinn. Sie versprechen sich davon unter anderem Stabilität der Preise und der Devisenparitäten, fallende Arbeitslosigkeit, wachsenden Welthandel und steigenden Lebensstandard. Eine handfeste Begründung für diese Hoffnungen liefern sie freilich nicht. Glauben Sie wirklich daran, dass man dem Ozean befehlen kann, trotz Sturm und Wind ruhig zu bleiben – nur damit man darauf wie auf einem kleinen stillen See rudern kann?
Vermutlich nicht.
Die beste Antwort auf die Frage nach dem Goldstandard gab einst der berühmte Dichter und Nobelpreisträger Rabindranath Tagore: Fass die Flügel des Vogels in Gold, und nie wird er sich wieder in die Lüfte schwingen!
Würden Sie aktuell Aktien kaufen?
Natürlich! Der langfristige Anleger ist bereit, Wertpapiere jahrelang zu behalten und sehr oft über längere Zeit die Kurse zu verfolgen. Seine Motivation bezieht sich auf einen Zeitraum von vielen Jahren, und seine Motivation ist die Hoffnung auf das permanente Wachstum des Unternehmens. Es gibt sehr viele Beispiele, bei denen sich Geduld ausgezahlt hat, und die Spekulanten ihr Einsatzkapital vervielfacht haben.
Aber die Aktienkurse schwanken heute kräftiger als noch vor 30 Jahren.
Auf kurze Sicht hat die Wirtschaftslage oder die Qualität eines Unternehmens gar keinen Einfluss auf die Kurse. Umso mehr jedoch die Tagesereignisse, Kurznachrichten und so weiter. Und sogar Klatsch, da viele Spieler aus diesen Ereignissen Schlüsse ziehen für die weitere Entwicklung. Diese Folgerungen sind aber meistens falsch oder irreführend, da sie vollkommen unberechenbar sind. Nicht die tatsächlichen Ereignisse selbst, sondern die psychologische Reaktion des Publikums darauf beeinflusst die Kurse. Langfristig dagegen ist die Psychologie des Anlegerpublikums nicht entscheidend. Wer will heute schon die Ängste, Hoffnungen, Vorurteile sowie Reaktionen auf innen- und außenpolitische Ereignisse von kommenden Jahren vorhersehen? Nichtsdestoweniger kann in gewissen Dingen eine tiefliegende psychologische Einstellung des Publikums einen Markt jahrelang beeinflussen, wie zum Beispiel der Enthusiasmus gegenüber dem Gold.
Wichtige Nachrichten werden in Sekundenschnelle um die Welt geschickt. Die Börse ist transparenter geworden. Wie bewerten Sie die Entwicklung?
Die Transparenz ist größer geworden, aber die Schlussfolgerungen, die ein jeder für sich ziehen muss, werden nicht erfolgreicher. Nur für den würden die blitzschnellen Informationen ein unschätzbares Kapital darstellen, der allein darüber verfügt. Informationen, Nachrichten und Ereignisse, die alle Börsenteilnehmer kennen, sind völlig wertlos – und das ist ja heute meist der Fall. Ich sagte immer: Was ich schon weiß, macht mich nicht heiß!
Und was ist dann das Erfolgsrezept?
Wichtig ist, die Nachrichten zu interpretieren, und dies fällt öfter falsch als richtig aus. Die falsche Interpretation der Nachrichten ist das Gefährlichste.
Welche Eigenschaften braucht ein erfolgreicher Anleger?
Scharfsinn, Intuition, Fantasie.
Welche Eigenschaft schadet?
Sturheit. Überzeugung muss man schon haben, aber im gegebenen Moment, wenn man seinen Irrtum erkannt hat, konsequent sein und aus dem Boot springen. Unter Irrtum verstehe ich nicht den Rückgang einer für 100 Euro gekauften Aktie auf 90 Euro, sondern wenn man einen Fehler im Aufbau der Argumente entdeckt hat oder das Eintreffen eines dramatischen unerwarteten Ereignisses bemerkt. Man muss antizyklisch handeln und auf die allgemeine Meinung des Börsenpublikums keine Rücksicht nehmen.
Ein letzter Ratschlag noch Herr Kostolany.
Die nützlichsten Wörter an der Börse sind: vielleicht, hoffentlich, möglich, es könnte, nichtsdestoweniger, obwohl, zwar, ich glaube, ich meine, aber, wahrscheinlich, das scheint mir... Alles, was man glaubt und sagt, ist bedingt.
Herr Kostolany, wir danken Ihnen.
André Kostolany wurde am 9. Februar 1906 in Budapest geboren. Er starb am 14. September 1999 in Paris. Kostolany gilt noch immer als einer der bekanntesten und beliebtesten Börsianer in Deutschland. Seine Analysen und Weisheiten sind legendär. Die Antworten dieses fiktiven Interviews sind allesamt Originalzitate aus seinen Büchern und unzähligen Kolumnen in der Finanzzeitschrift „Capital“.
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