Herr Illig, Krieg, Inflation, Rezessionssorgen. 2022 war ein schlechtes Aktienjahr und auch im neuen Jahr köcheln die Krisenherde vorerst weiter. Das macht viele Anlegerinnen und Anleger nervös, so dass manche überlegen auszusteigen. Was sagen Sie Ihnen?
Bei solch besorgniserregenden Schlagzeilen und schwankenden Aktienmärkten ist es nachvollziehbar, wenn Anlegerinnen und Anleger sich Sorgen um weitere Rückschläge machen. Das Problem ist jedoch: Wer seine Aktien verkauft und sein Geld längere Zeit zur Seite legt, der setzt es dem nagenden Zahn der Inflation aus. Und langfristig spricht vieles dafür, dass die Aktienmärkte einen Wertzuwachs bieten, der die Inflation deutlich übersteigt.
Daher überlegt der eine oder die andere ja auch, jetzt womöglich aus den Märkten auszusteigen – und später, wenn sich die Turbulenzen gelegt haben, wieder einzusteigen ...
... und das möglichst noch zu dann günstigeren Einstiegskursen. Das klingt logisch, funktioniert aber in der Regel nicht. Muss doch, wer aussteigt, nicht nur hierfür einen günstigen Zeitpunkt erwischen, sondern auch für den Wiedereinstieg. Und historisch sind Markterholungen nach Turbulenzen meist in sehr kurzer Zeit passiert. Die Wahrscheinlichkeit, die Erholung zu verpassen, ist also sehr hoch, wenn man aussteigt. Um den optimalen Einstiegszeitpunkt zu kennen, müsste man die Stimmung der Marktteilnehmer korrekt vorhersagen können – ein extrem komplexes und fragwürdiges Unterfangen. Ich persönlich versuche mich jedenfalls nicht darin.
Aber gehört das nicht auch zu Ihrem Job als Portfoliomanager? Woran orientieren Sie sich bei Anlageentscheidungen?
Nein, die Psychologie der Marktteilnehmer sowie die Ereignisse, die sie beeinflussen, sind so komplex und zufallsabhängig, dass wir uns hier kein belastbares Urteil zutrauen. Allerdings gibt es etwas, das keineswegs leicht, aber in einigen Fällen deutlich greifbarer abzuschätzen ist: die langfristige Gewinnentwicklung von Unternehmen.
Und daraus lassen sich Rückschlüsse auf die Marktbewegungen ziehen?
In der kurzen Frist, nein. Aber langfristig bestimmt die fundamentale Entwicklung eines Unternehmens seinen Aktienkurs. Die Einschätzung dieser Entwicklung und ihre Bewertung ist unsere primäre Tätigkeit, sie stellt unseren Kompass dar.
Und wie funktioniert das?
Einer der erfolgreichsten Investoren aller Zeiten, Warren Buffett, sagte einst auf die Frage nach seinem Erfolgsrezept: „Das Leben ist wie ein Schneeball. Das Wichtigste ist, feuchten Schnee zu finden und einen möglichst langen Hügel.“
Auch wenn manche von uns Spaß an einem Schneemann haben mögen, bleibt diese Aussage mysteriös. Würden Sie das erläutern?
Buffetts Schneeball illustriert hervorragend den wichtigsten Erfolgsfaktor für langfristiges Investieren: das Compounding oder korrekter Compound Interest, auf Deutsch sagt man dazu auch Zinseszinseffekt. Über feuchten, pappigen Schnee gerollt, kann ein Schneeball mit jeder Runde mehr Schnee aufnehmen, da sich seine Oberfläche immer mehr vergrößert. Mathematisch bedeutet dies exponentielles Wachstum; das ja auch hinter dem Zinseszinseffekt steckt.
Der Zinseszinseffekt ist ja nichts Neues und letztlich einfach zu berechnen, ...
... sprengt aber oft die Vorstellungskraft, gerade wenn er sich über viele Jahre entfaltet. Nicht zufällig wird Albert Einstein nachgesagt, den Zinseszinseffekt als das achte Weltwunder bezeichnet zu haben. Denn das menschliche Gehirn ist primär auf lineares Denken gepolt.
Haben sie hierfür ein Beispiel?
Ja. Nehmen wir an, ein Anleger investiert 10.000 Euro, und erhält darauf 30 Jahre lang fünf Prozent Rendite pro Jahr. Legt er die Zinsen jedes Jahr unter die Matratze, erhält er 500 Euro im Jahr, mal 30, womit wir bei 15.000 Euro Zinsertrag und 25.000 Euro Vermögen am Ende der 30 Jahre wären. Legt er die Zinsen jedoch jedes Jahr sofort wieder zu den gleichen fünf Prozent an – erzielt also einen Zinseszins – sieht das Bild deutlich anders aus. Dann läge der Wertzuwachs am Ende nämlich bei über 33.000 Euro, und der Gesamtwert bei stolzen 43.000 Euro. Der Anleger aus dem Beispiel hätte also sein Kapital am Ende nicht verzweieinhalbfacht, sondern mehr als vervierfacht – eben weil, wie in Buffetts Metapher, die Oberfläche des Schneeballs immer größer wurde und somit immer mehr Schnee daran haften blieb.
Das Beispiel zeigt, dass es wichtig ist, bei einer Anlagestrategie „am Ball“ zu bleiben und geduldig zu sein. Doch anders als bei einem festverzinslichen Bankprodukt schwanken die jährlichen Erträge bei Aktieninvestments. Um im Bild zu bleiben: Es bleibt also mal sehr viel und mal gar kein Schnee hängen.
Das ist wahr, und an den Aktienmärkten wird es immer wieder Zeiträume mit negativen Wertentwicklungen geben. Das zeigt die Historie. Jetzt kommen wir aber zum vorhin gemachten Punkt zu unserem „Kompass“: Die Ertragskraft der meisten Unternehmen schwankt weit weniger als ihre Aktienkurse. Der Schneeball, den wir im Blick haben, ist daher die Gewinnentwicklung der Firmen. Und diese steigt – bei guten Firmen, sowie historisch auch im Aggregat für die Unternehmen in einem breiten Aktienindex wie dem amerikanischen S&P 500 – im Zeitverlauf zwar auch nicht ohne Rücksetzer, aber mit exponentieller Zuwachsrate an.
Wie kommt dies zustande?
Firmen verfügen über produktive Ressourcen. Denken sie an physische Anlagen wie Fabriken und Immobilien, geistiges Eigentum wie Marken und Patente, und natürlich am allerwichtigsten: die Energie und Kreativität ihrer Mitarbeiter. Wenn Firmen ihre Gewinne nun in den Ausbau dieser Ressourcen investieren, steigern sie damit ihre Kapazität und können somit künftig höhere Gewinne erwirtschaften. Das ergibt mehr Geld für Investitionen, eine entsprechend größere Gewinnsteigerung – und der Schneeball rollt.
Dieses Wachstum hat aber doch sicher Grenzen?
Absolut. Auch wenn eine Volkswirtschaft im Laufe der Zeit größer wird, werden immer einzelne Firmen verschwinden und neue entstehen. Wir suchen zwar gezielt nach Unternehmen, von denen wir glauben, dass sie noch sehr lange, also nachhaltig erfolgreich sein werden. Allerdings können auch diese meist nur einen Bruchteil ihrer Gewinne reinvestieren. Aber hier kommt ein wichtiger Punkt ins Spiel: Entscheidend ist unser Anteil am Gewinn einer Firma. Zahlt diese überschüssige Gewinne als Dividende aus, können wir davon mehr Aktien kaufen. Kauft sie eigene Aktien zurück, erhöht sich ebenfalls unser Anteil am Gewinn der Firma, der ja nun auf weniger Aktien verteilt wird.
Abgesehen vom nachhaltigen Erfolg: Was sind die wichtigsten Kriterien, damit eine Beteiligung das Potenzial zum Compounding hat?
Der nachhaltige Erfolg bedingt, dass das Unternehmen über einen langen Zeitraum und profitabel wächst – es seinen Schneeball also über einen langen Hügel mit viel feuchtem Schnee rollt. Dazu ist noch wichtig, dass das Management diszipliniert und klug mit dem Kapital der Aktionäre umgeht. Brechen unterwegs Teile vom Schneeball ab – weil etwa das Management überteuerte Akquisitionen macht oder in erfolglose Initiativen investiert – kann dies den Compounding-Effekt erheblich schmälern. Und letztlich ist besonders wichtig, dass wir für unsere Beteiligung am Gewinn des Unternehmens, also für die Aktien, einen angemessenen Preis bezahlen.
Sie managen ja bereits seit einigen Jahren Aktienfonds. Wie haben sie das vergangene, besonders herausfordernde Aktienjahr gehandhabt?
Als Fondsmanager muss man immer einen kühlen Kopf bewahren, auch wenn sich die Ereignisse zu überschlagen scheinen. Hier hilft mir persönlich unsere auf Qualität fokussierte Anlagephilosophie enorm. Sie wurde in Krisenzeiten entwickelt; nach dem Platzen der Technologieblase zu Beginn des Jahrtausends. Wir sind davon überzeugt, dass man die Zukunft nicht vorhersagen, sich aber sehr wohl auf sie vorbereiten kann.
Und das bedeutet?
Einerseits muss unser Portfolio stets klug diversifiziert sein. Denn neben unvorhergesehenen Entwicklungen müssen wir auch Demut bezüglich der Fehlbarkeit einzelner Einschätzungen bewahren, weshalb wir Klumpenrisiken oder zu große Einzelpositionen vermeiden. Dazu legen wir eine strenge Bewertungsdisziplin an den Tag – wollen also zu teure Aktien weder kaufen noch halten. Und zu guter Letzt kommt der Qualität der Unternehmen im Portfolio eine ganz entscheidende Rolle zu.
Von Qualität wird ja häufig geredet. Wie ist Ihre Definition?
Die Qualität der Unternehmen ergibt sich für uns aus dem erwarteten Wachstumspotenzial der Gewinne und dessen Vorhersehbarkeit.
Das klingt erstmal recht technisch. Inwiefern hilft dies Anlegerinnen und Anlegern?
Sie können an dem Wert teilhaben, den herausragende Unternehmen generieren. Als hochwertige Sachwerte bieten diese Beteiligungen gleichzeitig einen guten Schutz gegen den kaufkrafterodierenden Effekt der Inflation. Unsere Unternehmen weisen darüber hinaus eine weit überdurchschnittliche Widerstands- und Anpassungsfähigkeit auf.
Können Sie das konkretisieren, insbesondere mit Bezug auf Sorgen um anhaltend hohe Inflationsraten oder eine mögliche Rezession?
Gerne. Im Zentrum unserer Analyse steht immer die Stärke der Wettbewerbsposition. Hebt ein Unternehmen sich von seiner Konkurrenz in einer Art und Weise ab, die schwer replizierbar ist und zudem von Kunden geschätzt und nachhaltig benötigt wird? Diese Unternehmen sind meist hoch profitabel, auch in Zeiten schwächerer Nachfrage. Im Falle anhaltend hoher Inflationsraten sind sie gut positioniert, Kostensteigerungen an ihre Kunden weiterzureichen. Natürlich können immer Entwicklungen eintreten, infolge derer ihre Gewinne zumindest vorübergehend auch mal stärker sinken. Entscheidend ist aber, dass Unternehmen davon nicht aus der Bahn geworfen werden und anpassungsfähig sind. Aus diesem Grund ist eine gesunde Bilanz Grundvoraussetzung für jede Beteiligung, und auch ein starkes Management ist uns wichtig.
So viel zur Krisenfestigkeit. Nun sind im letzten Jahr aber auch die Kurse von Unternehmen in ihrem Fonds teils deutlich gefallen. Ein Widerspruch?
Nein. Die Börsen schwanken mit der Stimmung der Marktteilnehmer. Langfristig entscheidet wie bereits gesagt aber die fundamentale Entwicklung der Unternehmen über die Aktienkurse. Die Historie zeigt, dass herausragende Unternehmen durch nachhaltiges, profitables Wachstum über die Zeit viel Wert für ihre Aktionäre generiert haben.
Also alles nur ein Sturm im Wasserglas?
So würde ich das nicht sagen. Im letzten Jahr ist viel passiert. Man darf nie sorglos sein und muss die Zukunftsfähigkeit seiner Beteiligungen stets vor dem Hintergrund neuer Informationen hinterfragen. Aus diesem Grund verfolgen wir die Entwicklung unserer Beteiligungen stets sehr eng. Und wo unsere Qualitätseinschätzung sich verändert, ziehen wir auch die Konsequenzen und handeln.
Fühlen Sie sich mit Ihrem Portfolio für die Zukunft gut gewappnet?
Ja. Wir sind überzeugt, dass unser Fokus auf Qualität bei gleichzeitiger Bewertungsdisziplin ein gutes Portfolio aus Unternehmen ergibt, die ihre Ertragskraft mit überdurchschnittlicher Krisenfestigkeit und am Ende mit attraktiven Zuwachsraten steigern können. Und trotz zwischenzeitlich eintretender Kursrücksetzer sollten die Börsenkurse im Laufe der Zeit dieser Gewinnentwicklung folgen. Für geduldige Anlegerinnen und Anleger bestehen aus unserer Sicht also gute Chancen auf eine attraktive langfristige Rendite.
Vielen Dank für das Gespräch.
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