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Wem nützt der Krieg in Israel?

- Norbert F. Tofall

Bis zum terroristischen Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 war die Palästinenser-Frage lange nicht auf der Agenda der Weltöffentlichkeit. Durch ein Tod und Leid bringendes Kalkül hat die islamistische Hamas mit ihrem Terrorangriff und durch ihre Pogrome das geändert. Die Lösung der Palästinenser-Frage wird dadurch aber mitnichten wahrscheinlicher. Vielmehr scheint es der Hamas und dem hinter ihr stehenden Mullah-Regime im Iran überhaupt nicht um die Verbesserung der Lage der Palästinenser zu gehen, sondern erstens um die Zerstörung oder zumindest die Schwächung Israels und zweitens und vor allem um die geopolitische Macht im gesamten Nahen Osten. Die Palästinenser-Frage ist deshalb nur Mittel zum Zweck, um Chaos im gesamten Nahen Osten zu schüren.

Die Palästinenser sind für die Hamas, die Hisbollah und für den Iran nur Kanonenfutter, um das notwendige Ausmaß an Chaos zu erzeugen, welches weitere Instabilitäten der internationalen Beziehungen auslösen dürften. Deshalb hat es sich für Russland und China, welche die Gewichte in den internationalen Beziehungen und der Weltwirtschaft zu ihren Gunsten verändern wollen - was oftmals nur durch Chaos und Instabilität ermöglicht wird - bereits gelohnt, Iran in die Runde der erweiterten BRICS-Staaten aufzunehmen.1 Allerdings dürfte sich die „Öl-Waffe“, wie sie nach dem Jom Kippur Krieg gegen Israel im Jahr 1973 durch die OPEC zum Einsatz kam, heute gegenüber den USA als stumpf erweisen.

I.

Im Grunde wurde die Lösung der Palästinenser-Frage bereits am 15. Mai 1948 kurz nach Mitternacht verhindert. Denn nachdem am 14. Mai 1948 um 16.00 Uhr die Gründung des Staates Israel mit Berufung auf die UN-Resolution 181 (II) vom 29. November 1947 verkündet worden war, erfolgte nur wenige Stunden nach der Gründung des Staates Israel eben keine Gründung eines palästinensischen Staates durch die ortsansässigen Palästinenser, wie es die UN-Resolution 181 (II) in ihrem Teilungsplan vorsah, sondern ein Angriffskrieg der arabischen Staaten Ägypten, Jordanien, Irak, Syrien und Libanon auf Israel. Bis heute wird nicht nur in der arabischen Welt weitgehend ignoriert, daß durch diesen Angriffskrieg gerade nicht die wohlverstandenen Interessen der ortsansässigen Palästinenser auf einen eigenen Staat vertreten wurden. Im Gegenteil: Die Lösung der Palästinenser-Frage wurde durch Gewalt und Krieg in die ferne Zukunft verschoben. Dominant war das Ziel, die Entstehung des Staates Israel zu verhindern. Wäre es um die Gründung eines eigenen palästinensischen Staates gegangen, so wäre das ohne Krieg, Gewalt und Chaos sofort möglich gewesen. Das Palästinenser-Problem dürfte aber schon damals weitgehend Mittel zum Zweck gewesen sein, um Israel zu zerstören und um die eigene geopolitische Macht im Nahen Osten auszubauen.

Entgegen allen Erwartungen endete der Angriffskrieg der fünf arabischen Staaten auf Israel mit einem Sieg Israels. Unter Vermittlung der Vereinten Nationen wurde 1949 zwischen Israel und den arabischen Angreiferstaaten (mit Ausnahme des Irak) ein Waffenstillstand geschlossen. Es wurden Waffenstillstandslinien vertraglich vereinbart, die gut 75 Prozent des vormaligen britischen Mandatsgebiets Palästina Israel überließen und die das israelische Territorium im Vergleich mit dem UN-Teilungsplan von 1948 um ein Drittel vergrößerten. 700 000 Palästinenser gingen anschließend auf die Flucht. In der arabischen Welt ist seitdem von Nakba, von Flucht und Vertreibung die Rede. Im Ergebnis hatten die fünf arabischen Staaten durch ihren Angriff auf Israel den Palästinensern nachhaltig geschadet.

Diese Katastrophe für die Palästinenser bildet seither den tieferen Kern der Auseinandersetzungen. Wie der Angriffskrieg 1948 zielt auch der terroristische Angriff der islamistischen Hamas vom 7. Oktober 2023 und ihre an finstere Zeiten erinnernde Pogrome gegen Juden nicht auf die Lösung der Palästinenser-Frage, sondern geradezu auf eine Verhinderung einer Lösung.

Die Lösung der Palästinenser-Frage ist untrennbar mit einer Aussöhnung Israels mit den arabischen Staaten verbunden. Durch die sogenannten Abraham-Abkommen war es Israel seit September 2020 gelungen, erst mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrein und dann mit Jordanien, Marokko und Sudan Friedensvereinbarungen zu schließen. Jetzt stand Saudi-Arabien kurz davor, ebenfalls diese Friedensvereinbarung zu unterzeichnen. Andere arabische Staaten könnten dann durchaus folgen. Das innenpolitisch unter enormen Existenzdruck stehende islamistische Mullah-Regime im Iran würde dadurch jedoch im Nahen Osten mehr und mehr isoliert. Durch den terroristischen Angriff der vom Iran aktiv unterstützten Hamas und ihre Pogrome wurden jedoch Eskalationen im Gazastreifen und durch die von der vom Iran aktiv unterstützten und gesteuerten Hisbollah im Libanon in Gang gesetzt, die geeignet sind, Iran aus der drohenden Isolation im Nahen Osten zu befreien.

Der Transmissionsriemen dafür sind die arabischen Massen, die sich mit dem Leid der Palästinenser solidarisieren, ohne tiefere Ursache-Wirkungs-Analysen zu betreiben. Der allgemein verbreitete und sehr ausgeprägte Antisemitismus in den arabischen Bevölkerungen ist leicht zu aktivieren und kann zu einem Furor gesteigert werden, der noch so besonnene arabische Regierungen hinwegfegen kann. Auch ist dieser Antisemitismus mit einer starken Ablehnung und Verachtung des Westens verknüpft. Dieser antisemitische Transmissionsriemen der arabischen Bevölkerungen könnte sogar so stark sein, daß das schiitische Mullah-Regime im Iran Einfluß auf sunnitische Bevölkerungen gewinnt.

Und darauf scheint der Iran im Moment nicht nur im Nahen Osten zu setzen, sondern auch in den westlichen Staaten hinsichtlich der arabisch- und türkischstämmigen Bevölkerungsteile, welche den Israel-Konflikt und die Palästinenser-Frage auf die Straßen der USA und Europas tragen und dadurch zur weiteren Polarisierung der westlichen Gesellschaften einen nicht unerheblichen Anteil leisten. Zudem gibt es bereits ernsthafte Warnungen vor islamistischen Terroranschlägen in vielen westlichen Staaten.

Ob es dem Iran letztendlich gelingen wird, die potentiellen Vorteile, die sich für den Iran aus den Angriffen der Hamas vom 7. Oktober 2023 ergeben, zu realisieren oder auf Dauer zu sichern, ist im Moment offen. Die arabischen Regierungen dürften das Spiel des Iran sofort durchschaut haben, werden aber angesichts der aufgehetzten eigenen Bevölkerungen auf Zeit spielen, bis sich die Lage beruhigt hat. Ohne Not wird man dem Iran aber sicherlich keine Ausweitung seiner geopolitischen Macht zugestehen. Neue Konflikte könnten die Folge sein.

Darüber hinaus besteht für den Iran die Gefahr, daß er über die Hisbollah im Libanon oder sogar durch eigene Raketenangriffe auf Israel die USA zum direkten militärischen Eingreifen in den Konflikt zwingt. „Regime-Change“ gehört zwar nicht zu den bevorzugten Zielen der Biden-Administration. Sollten die USA jedoch zur Verteidigung Israels genötigt sein, den Iran militärisch anzugreifen, dann ist nicht auszuschließen, daß die USA einen Regime-Change im Iran anstreben.

Die USA hatten in den letzten Jahren Israel von Zerstörungen iranischer Atomanlagen abgehalten. Iran könnte jetzt gerade die Schwelle zur Atomwaffenfähigkeit überschritten haben und ausreichend atomwaffenfähiges Uran besitzen. Ein gemeinsamer Angriff von Israel und den USA auf den Iran in der jetzigen Situation sollte auch deshalb nicht ausgeschlossen werden. Denn sollte der Iran Atomwaffen besitzen, dürfte seine geopolitische Macht im Nahen Osten auf jeden Fall wachsen.

II.

Neben dem Iran ist der größte Nutznießer des Kriegs in Israel und des sich daraus vermehrenden Chaos‘ der russische Präsident Putin. Bereits 2015 hatte Putin durch das Eingreifen von Russland in den Syrien-Konflikt eine beispiellose Flüchtlingsbewegung nach Europa ausgelöst, was in den europäischen Staaten zu anhaltend erhöhter Polarisierung geführt hat. Jetzt bekommt Putin durch die Hamas und den Iran gleich mehrere Geschenke:

  • Erstens muß sich der Westen neben der Ukraine auch um Israel und den Nahen Osten kümmern, was sich zu einer zweiten Front für den Westen entwickeln könnte, die Putin in der Ukraine nutzt.
  • Zweitens könnte durch einen andauernden Israel-Konflikt die Polarisierung in den westlichen Staaten weiter ansteigen und so deren Verteidigungswilligkeit nach außen schwächen.
  • Drittens sorgen Krieg und Chaos im Nahen Osten und darüber hinaus für erhöhte Instabilitäten der internationalen Beziehungen und der Weltwirtschaft. Die sunnitischen arabischen Staaten werden sich nicht kampflos unter die Kuratel des Iran stellen lassen. Daraus ergeben sich für Russland, aber auch für China, viele Eingriffs- und Vermittlungsmöglichkeiten.

Für China könnte zudem der Vorteil folgen, daß sich der Westen und vor allem die USA vermehrt in Konflikte verwickeln, die sie vom Taiwan-Konflikt ablenken.

Für China und Russland dürfte sich die Aufnahme des Iran in die BRICS+ insgesamt bereits gelohnt haben. Und der Iran dürfte sich durch den terroristischen Angriff der von ihr unterstützten Hamas auf Israel zum wichtigsten Verbündeten von Russland und China promoviert haben. Nicht vergessen werden sollte, daß auch Ägypten, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate ab dem 1. Januar 2024 Vollmitglieder der BRICS+ werden.

Vor einigen Wochen hatten wir geschrieben: „Die BRICS sind wirtschafts- und währungspolitisch nicht ansatzweise eine Europäische Union. Sie sind nicht einmal eine Zollunion und verteidigungspolitisch mitnichten auch nur eine Vorstufe einer NATO. Gemeinsame Regeln und effektive Regelsysteme existieren nicht. Und durch die Erweiterung der BRICS um sechs Staaten steigt das Konfliktpotential zwischen den elf Staaten weiter an. Nicht nur China und Indien stehen sich verfeindet gegenüber, sondern auch Iran und Saudi-Arabien. Dazu kommt, daß das außenpolitische Handeln von Russland auf Konflikt angelegt ist, was nicht nur bezüglich der Ukraine offensichtlich ist, sondern auch in Syrien und vielen Staaten Afrikas. Daß sich die BRICS+ zu einem Friedensprojekt entwickeln, ist deshalb sehr unwahrscheinlich. Im Moment scheinen die BRICS+ eher ein ökonomisches und politisches Minenfeld zu sein, das gezielt angelegt wird, um als Krisenbeschleuniger wirken zu können.“2

Keine vier Wochen nach Veröffentlichung dieser Analyse ist in Israel das erste politische Minenfeld, in welches mehrere BRICS+ Staaten involviert sind, explodiert. Weitere Eskalationen sind leider wahrscheinlich. Allein das an Feindschaft grenzende Verhältnis von Iran und Saudi-Arabien läßt erkennen, daß die Protagonisten der BRICS-Erweiterung, China und Russland, gezielt ökonomische und politische Minenfelder anlegen, um Konflikte auszuweiten, in welche der Westen über ökonomische und politische Beziehungen involviert ist. Deshalb dürften neben dem Iran auch Russland und China kein ernsthaftes Interesse an der Lösung der Palästinenser-Frage haben.

III.

Da Russland unter Putin Öl und Gas ohnehin zu einer geopolitischen Waffe geformt hat, könnten Russland und Iran nach Ansicht einiger deutscher Journalisten versucht sein, den aktuellen Krieg in Israel zum Anlaß zu nehmen, ihre OPEC-Kartellbrüder im Nahen Osten dazu zu bewegen, die „Öl-Waffe“ ähnlich wie nach dem Jom Kippur Krieg 1973 gegen den Westen in Stellung zu bringen. Zum einen könnte durch künstliche Verknappung des globalen Öl-Angebots der Öl-Preis in die Höhe getrieben werden, zum anderen durch Störungen der Öl-Handelsrouten, die der Iran im Persischen Golf und der Straße von Hormus ins Werk setzen könnte.

Ob sich Saudi-Arabien und andere arabische erdölexportierende Länder überhaupt auf ein solches Ansinnen einlassen oder sich nicht sogar aktiv dagegen wehren werden, ist im Moment offen, zumal die Öl-Waffe zumindest gegenüber den USA stumpf geworden ist. Die USA haben sich in den letzten Jahren vom größten Öl-Importeur zum Öl-Selbstversorger und Öl-Exporteur gewandelt.3 Deshalb könnten die USA durch eine im Nahen Osten abgefeuerte Öl-Waffe kaum getroffen werden. In Europa stellt sich die Lage zwar anders dar, aber ob die OPEC-Mitglieder mit Ausnahme des Iran die Öl-Waffe einsetzen, wenn die USA nicht getroffen werden können, ist fraglich.

Darüber hinaus führt die heutige Unabhängigkeit der USA von Öl-Importen dazu, daß der US-Dollar steigt, wenn der Öl-Preis steigt (siehe Schaubild).

Wem nützt der Krieg in Israel? -

Ein steigender Öl-Preis und damit ein steigender US-Dollar würden Importe in die USA entsprechend verbilligen. Ein durch höhere Öl-Preise ausgelöster Inflationsdruck in den USA wie nach dem Jom Kippur Krieg in den 1970er Jahren, der die derzeitige Inflationsbekämpfung erschweren würde, ist deshalb unwahrscheinlich. Zudem dürfte ein steigender US-Dollar das exorbitante Privileg der USA weiter stärken. Da es das Ziel der BRICS+ ist, das exorbitante Privileg der USA zu brechen, könnte die Öl-Waffe im Sinne künstlich erzeugter Öl-Preiserhöhungen das Gegenteil des Gewollten bewirken.

Wie dem auch sei, mit einer Lösung des Palästinenser-Konflikts hat das Agieren des Iran und Russland wenig zu tun. Durch die derzeitige Gewalt und das dadurch erzeugte Chaos dürfte die Lösung des Palästinenser-Problem wie schon so oft in die Zukunft verschoben worden sein. Aber vielleicht erkennen die Palästinenser früher oder später, daß sie ihren eigentlichen Feind im Schatten der eigenen Hütte suchen müssen und nicht in Israel und im Westen.


1 Siehe auch Norbert F. Tofall: G20+, BRICS+ und China. Globale ökonomische und politische Minenfelder, Kommentar zu Wirtschaft und Politik des Flossbach von Storch Research Institute vom 11. September 2023, online: https://www.flossbachvonstorch-researchinstitute.com/de/kommentare/g20-brics-und-china-globale-oekonomische-und-politische-minenfelder/

2 Ebenda.

3 Für diesen Hinweis und das Schaubild danke ich Prof. Dr. Thomas Mayer, dem Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute.

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