Im Spätsommer 2023 endete der Zinserhöhungszyklus. Seither verhalten sich die meisten Notenbanken abwartend. Doch langsam kommt Bewegung in die Geldpolitik.
Bis in den Spätsommer des vergangenen Jahres kannten die Zinsen nur eine Richtung. Rund um den Globus schossen die Leitzinsen binnen weniger als 18 Monaten in die Höhe. Die Europäische Zentralbank (EZB) hob ihre Leitzinsen zwischen Juli 2022 und September 2023 insgesamt zehnmal um 4,5 Prozentpunkte an. Die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) brachte es von März 2022 bis Juli 2023 auf elf Zinserhöhungen und erhöhte ihr Leitzinsniveau in diesem Zeitraum um 5,25 Prozentpunkte.
Ende vergangenen Jahres wurde dann immer deutlicher, dass keine weiteren Zinserhöhungen folgen würden. Jetzt stellt sich die Frage, wann die Notenbanken eine Zinswende einläuten.
Nicht die EZB, nicht die Fed und erst recht nicht die Bank of Japan. Nein, die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat den Anfang gemacht und verkündete im März die erste Zinssenkung. Sie reduzierte den SNB-Leitzins um 25 Basispunkte auf 1,5 Prozent. Offiziell begründete die SNB diesen Schritt mit zwei Argumenten:
Neben der offiziellen Begründung dürfte aus Sicht der SNB ein weiteres Argument dafürgesprochen haben, die Zinswende nach unten als erste Notenbank einzuläuten. Denn die SNB tagt nur vierteljährlich. Und bis sie im Juni zur nächsten Zinsentscheidung zusammenkommen wird, haben große Notenbanken wie die EZB und die Fed zwei Möglichkeiten, einen möglichen Zinssenkungszyklus zu starten.
Mit Blick auf den Außenwert des Franken hätten sich die Schweizer Notenbanker also der Gefahr ausgesetzt, dass die relative Attraktivität des Schweizer Zinsniveaus in der Zwischenzeit steigt und für zusätzlichen Aufwertungsdruck auf die heimische Währung sorgt. Die jüngste Zinssenkung könnte also aus solchen weitsichtigen Überlegungen zu künftigen Entwicklungen erfolgt sein.
In den USA bewegen sich die US-Leitzinsen weiter in einer Bandbreite von 5,25 bis 5,5 Prozent und damit auf dem höchsten Niveau der vergangenen 20 Jahre. Spannend bleibt die Frage, wie es weiter geht. Weitere Zinserhöhungen sind wohl nahezu ausgeschlossen. Diesbezüglich äußerte sich US-Notenbankpräsident Jerome Powell bereits sehr deutlich. Eine Absage an Zinserhöhungen ist aber nicht gleichbedeutend mit unmittelbar bevorstehenden Zinssenkungen. Und diesbezüglich gestaltet sich die Situation in den USA recht komplex.
Bei Betrachtung der Konsumentenpreisinflation (CPI) erscheint eine mögliche Zinssenkung zunächst einmal außer Reichweite. Gemäß CPI lag die US-Inflation im Februar 2024 bei 3,2 Prozent. Die Kerninflation fiel mit 3,8 Prozent noch einmal höher aus. Angesichts der Differenz zum Zwei-Prozent-Ziel der Fed erscheint eine baldige Zinssenkung somit nicht naheliegend.
Auch die anhaltend robusten Wirtschaftsdaten schüren keine Notwendigkeit, eine Zinswende nach unten einleiten zu müssen. Im Januar prognostizierte der Internationale Währungsfonds ein 2024er US-Wirtschaftswachstum in Höhe von 2,1 Prozent nach 2,5 Prozent im Jahr 2023. Die US-Arbeitslosenquote liest sich mit zuletzt 3,9 Prozent ebenfalls unverändert gut und die Lohninflation steigt weiter. Beispielsweise legten die durchschnittlichen Stundenlöhne im Februar 2024 um 4,3 Prozent zu.
Und dennoch ist die Gemengelage nicht eindeutig: Schaut man nicht auf den CPI, sondern auf den von der Fed favorisierten „Personal-Consumption-Expenditures-“ oder PCE-Preisindex, der einen etwas breiteren Warenkorb betrachtet, relativiert sich das Inflationsbild.
Gemäß PCE-Preisindex lag die US-Inflation im Februar 2024 bei „nur“ 2,5 Prozent. Die Kerninflation fiel mit 2,8 Prozent ebenfalls spürbar niedriger aus als beim CPI. Gleichzeitig ist die US-Geldpolitik unverändert restriktiv. Zehnjährige inflationsgeschützte US-Staatsanleihen rentierten jüngst bei etwa zwei Prozent (Real-)Rendite, womit sich ihr Renditeniveau nach wie vor am oberen Ende der Schwankungsbreite in der Zeit nach der Finanzkrise bewegt.
Im Zuge einer sich abschwächenden Inflationsdynamik, die sich gemäß PCE-Preisindex unweit des Zwei-Prozent-Ziels bewegt, muss daher die Frage erlaubt sein, wie restriktiv die US-Geldpolitik überhaupt noch sein muss. Für die US-Notenbanker ergibt sich aus der gegenwärtigen Datenlage ein erhöhter Interpretations- und damit auch Handlungsspielraum. Das macht es für Außenstehende im Fall der USA besonders schwer, den kommenden geldpolitischen Pfad zu prognostizieren.
Aus Sicht der US-Notenbanker stellt das aber kein Problem dar. Denn grundsätzlich bieten anhaltend robuste US-Wirtschaftsdaten der Fed vorerst die Möglichkeit, die weitere Inflationsentwicklung in Ruhe beobachten zu können – ohne Druck, die Zinsen voreilig senken zu müssen.
Anders als die US-Notenbank sendete die EZB jüngst bereits starke Signale, die zunehmend auf eine erste Zinssenkung bei den kommenden Leitzinsentscheidungen hindeuten. So betonte EZB-Ratsmitglied Piero Cipollone Ende März, dass die EZB sich dem Punkt nähere, an dem sie handelt – sprich, an dem sie eine erste Zinssenkung beschließt.
Zuversicht würden ihm und seinen Kolleginnen und Kollegen drei Punkte geben:
Während die Fed angesichts der bislang äußerst robusten US-Wirtschaft derzeit keinen Handlungsdruck verspüren muss, eine erste Zinssenkung zu überstürzen, deutet bei den Euro-Währungshütern also einiges auf eine baldige Zinssenkung hin. Damit könnte die EZB die US-Notenbank demnächst überholen. Startete sie ihren Zinserhöhungszyklus erst vier Monate nach der Fed, könnten sie die erste Zinssenkung früher vollziehen.
Sinkende Teuerungsraten eröffnen zahlreichen Notenbanken Handlungsspielraum, um erste Zinssenkungen in Erwägung zu ziehen. Mögliche Zinssenkungen bedeuten aber nicht automatisch die Rückkehr zu einer expansiven Geldpolitik.
Deutlich wird dies an der Durchschnittsverzinsung ausstehender Unternehmenskredite in der Eurozone: Diese hat seit Beginn der Leitzinserhöhungen im Sommer 2022 um gut zwei Prozentpunkte zugelegt und sich damit mehr als verdoppelt.
Eine behutsame Rückführung des Zinsniveaus mündet daher nicht (unmittelbar) in den tiefen Zinsniveaus vergangener Jahre. Vorsichtige Zinssenkungen und das Ziel einer nachhaltigen Rückführung der Inflationsraten bilden daher keinen Widerspruch.
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