Bei der Anlage dieses Kapitals setzen die Italiener mehrheitlich auf sichere Alternativen.
Italiens Bevölkerung altert schnell. Ein Schicksal, das das Land mit den meisten entwickelten Volkswirtschaften teilt. Und wie überall wo eine umlagefinanzierte Rentenversicherung einen wesentlichen Bestandteil der Altersvorsorge bildet, erhöhen geringe Geburtenraten und eine steigende Lebenserwartung den Druck auf das öffentliche Rentensystem.
Die schrumpfende Erwerbsbevölkerung muss bereits 33 Prozent der Bruttolöhne zur Finanzierung der Renten aufwenden. Das reicht aber nur für zwei Drittel der Ausgaben der Rentenkasse. Darüber hinaus werden aktuell jährlich 100 Milliarden Euro an Steuern zugeschossen, um das Umlagesystem am Laufen zu halten. Zwar wird das Auslaufen besonders vorteilhafter Frühverrentungsregelungen in der nahen Zukunft die Ausgabenseite etwas entlasten, den sich aus der Demographie ergebenden Druck wiegt das aber nicht auf. Die gesetzliche Rente liegt derzeit bei etwa 60 Prozent des letzten Bruttolohns und wird bis 2040 voraussichtlich auf 50 Prozent sinken.1
Zusätzlich zur gesetzlichen Rente gibt es noch eine verpflichtende betriebliche Absicherung, die „Trattamento di Fine Rapporto“ kurz TFR. Der Arbeitgeber behält jährlich rund 7 Prozent des Bruttogehalts für den Arbeitnehmer ein. Wie dieses Geld angelegt wird, bestimmt der Arbeitnehmer. Er kann aus zwei Möglichkeiten wählen.
Der Arbeitnehmer kann einerseits auf einer inflationsindexierten Verzinsung der TFR durch den Arbeitgeber bestehen. Dann verbleibt die TFR als Kapital im Unternehmen. Dafür muss es der Arbeitgeber mit einer jährlichen Indexierung von 1,5 Prozent plus drei Vierteln der aktuellen Inflationsrate verzinsen. Beim Inflationsziel der EZB von 2 Prozent ergibt das einen nominalen Zinssatz von 3 Prozent. Reale Kapitalverluste treten nur ein, wenn die Inflation mehr als 6 Prozent beträgt. Bei Insolvenz eines Unternehmens, haben die Arbeitnehmer einen vorrangigen Anspruch auf die Insolvenzmasse. Reicht die Insolvenzmasse nicht aus, um alle Ansprüche zu bedienen, wird der Rest durch einen staatlich abgesicherten Garantiefonds übernommen.
Alternativ kann der Arbeitnehmer sich auch dafür entscheiden, seine TFR in einen Pensionsfonds2 zu investieren. In diesem Fall führt der Arbeitgeber die TFR an einen Pensionsfonds ab und hat gegenüber dem Arbeitnehmer keine weiteren Verpflichtungen mehr. Die Rendite hängt von der Ausgestaltung und den Anlageentscheidungen des Pensionsfonds ab und kann damit höher ausfallen als die Indexierung. Einen garantierten Mindestertrag gibt es aber grundsätzlich nicht.
Abgesehen von der Möglichkeit ihre TFR-Beiträge dort anzulegen, bieten die privaten Pensionsfonds den Italienern zusätzlich die Möglichkeit steuerlich gefördert eigenständig fürs Alter vorzusorgen. Jedes Jahr sind Beiträge bis 5.165 Euro von der Einkommenssteuer befreit und die Kapitalerträge werden mit einem ermäßigten Satz von 20 Prozent statt der üblichen 26 Prozent besteuert. Die Pensionsfonds zahlen die Ersparnisse in Form von monatlichen Zahlungen im Rentenalter aus. In einigen Fonds sind auch Einmalzahlungen möglich.
Doch trotz möglicher Renditevorteile im Vergleich zur Indexierung und der steuerlichen Anreize für privates Sparen ist der Verbreitungsgrad von Pensionsfonds relativ gering. Nur 37 Prozent der italienischen Arbeitnehmer hatte 2022 überhaupt ein Konto bei einem Pensionsfonds. Das heißt mindestens 63 Prozent der italienischen Angestellten bevorzugen im Rahmen der TFR die Möglichkeit der indexierten Verzinsung gegenüber der Anlage im Pensionsfonds.
Unter den 37 Prozent, die ein Konto bei einem Pensionsfonds besitzen, finden sich sowohl Arbeitnehmer, die über die betriebliche Alterssicherung TFR dort einzahlen wie auch solche, die dort privat anlegen. Unterscheidet man innerhalb der Pensionsfonds in aktienorientierte und nicht aktienorientierte Fonds,4 dann investieren nur ungefähr drei Prozent der italienischen Arbeitnehmer in aktienorientierte Pensionsfonds (Abbildung 1). 34 Prozent bevorzugen nicht aktienorientierte Pensionsfonds. Garantien stehen bei der Kapitalanlage der italienischen Arbeitnehmer offenbar hoch im Kurs.
Die hohe Attraktivität der TFR-Indexierung ist auf die Anlagevorlieben der Italiener zurückzuführen: Laut einer repräsentativen Umfrage unter italienischen Anlegern geben 39 Prozent Kapitalerhalt als Anlageziel aus.5 Die inflationsbasierte Indexierung der TFR stellt dies weitestgehend sicher. Dazu ist das Paket aus TFR und Indexierung seit 1982 etabliert und den Italienern vertraut. Die Möglichkeit die TFR in einen Pensionsfonds zu investieren, gibt es dagegen erst seit 2007.
Für die 27 Prozent der Italiener, denen laut Befragung Kapitalwachstum wichtig ist, dürften die Renditen der Pensionsfonds jedoch wenig attraktiv sein. Ein Blick auf die historischen Renditen zeigt, dass Pensionsfonds im Vergleich zur TFR-Indexierung über einen Zeitraum von 20 Jahren nur minimal höhere jährliche Durchschnittsrenditen erzielten (siehe Abbildung 2).
Der Hauptgrund ist vermutlich die überschaubare Aktienquote in Pensionsfonds von 26,4 Prozent. Die damit verbundene Abhängigkeit von - insbesondere vor der Zinswende - niedrigen Anleiherenditen drückte den Ertrag. Pensionsfonds mit nicht aktienorientierter Kapitalanlage schnitten sogar schlechter ab als die Indexierung. Lediglich Pensionsfonds mit aktienorientierter Kapitalanlage erzielten nennenswert höhere Renditen als die Indexierung. Aber auch diese haben im Vergleich zu einem reinen Aktienindex wie dem MSCI World noch „Luft nach oben“.
Bei privat eingezahlten Beiträgen bleiben Pensionsfonds als Verkaufsargument noch die steuerlichen Vorteile. Doch auch private Altersvorsorge durch Immobilienerwerb wird in Italien steuerlich gefördert und direktes Sparen am Kapitalmarkt ist flexibler als die Anlage in Pensionsfonds. Dazu sind die verpflichtenden Beiträge zu gesetzlicher Rente und TFR von insgesamt 40 Prozent des Bruttolohns bereits so hoch, dass gerade bei niedrigen und mittleren Einkommen kaum weiteres Kapital zur privaten Vorsorge verfügbar sein dürfte.
Das gesetzliche Rentensystem in Italien wird den Rentnern zukünftig nicht den gleichen Lebensstandard bieten, den sie während ihres Arbeitslebens genossen haben. Die betriebliche und private Vorsorge gewinnt damit an Bedeutung. Dabei ist die Indexierung der TFR für die Italiener Fluch und Segen zugleich. Sie ist so ausgestaltet, dass die Renditeerwartungen der Mehrheit der Italiener erfüllt werden. Die Renditen sind allerdings gering.
Der italienische Staat sollte über eine grundsätzliche Senkung der Kapitalertragssteuer nachdenken, statt die offenbar nur für wenige Italiener attraktive Anlageform des Pensionsfonds zu fördern. Dies würde die private Vorsorge über den Kapitalmarkt für alle Alters- und Einkommensgruppen gleichermaßen attraktiver machen und die Aktienanlage als Sparform fördern. Die Steuersenkungen könnten mit Informationskampagnen und mehr Finanzbildung flankiert werden, die das Verständnis für Kapitalmärkte erhöht.
Italienische Sparer sollten ihre eigenen Überzeugungen und ihr Sparverhalten überprüfen. Die hohen Garantien der TFR-Indexierung schützen den realen Wert ihres Kapitals. Dennoch kann ein gut gewählter aktienorientierter Pensionsfonds oder eine private Anlage in Aktien höhere Renditen bringen und zur Vergrößerung des Vermögens beitragen. In der Altersvorsorge sollten angesichts des langen Anlagehorizontes Wertschwankungen eher akzeptabel sein als bei Ersparnissen für den täglichen Bedarf.
1 Ministry of Economic and Finance: 2024 Ageing Report Italy und EU-China Social Protection Reform Project: Status quo, problems and thoughts on the management of civil servants Pension System and differences with the private employees, 2015.
2 Unter Pensionsfonds verstehen wir Altersvorsorgeeinrichtungen und Versicherungsprodukte zur Altersvorsorge. Die Abgrenzung (der italienischen Aufsichtsbehörde für Pensionsfonds COVIP) findet sich in diesem Dokument: Commissione di Vigilanza sui Fondi Pensione.
3 Eine Aufschlüsselung wie viele Italiener die Indexierung der TFR und einen Pensionsfonds gleichzeitig nutzen konnte nicht gefunden werden. Aber wer kein Konto bei einem Pensionsfonds hat, kann dort auch nicht anlegen. Daher bilden die 63 Prozent eine Untergrenze für die Nutzung der Indexierung im Rahmen der TFR.
4 Unter nicht aktienorientierte Pensionsfonds fallen auf Anleihen fokussierte Fonds, Garantieprodukte und Mischfonds. Die Klassifizierung folgt der italienischen Aufsichtsbehörde für Pensionsfonds (COVIP) in diesem Dokument: Commissione Nazionale per le Società e la Borsa
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