Früher gehörte es zum guten Ton, politische Diskussionen mit Fremden zu meiden und stattdessen über das Wetter zu reden, um nicht ungewollt zu provozieren. Heute können Gespräche über das Wetter dagegen schnell zu unversöhnlichen Meinungsverschiedenheiten führen. Notwendig wäre daher eine nüchterne Betrachtung des Klimawandels und seiner ökonomischen Folgen.
In ihrem Buch „die Klimafalle“ erzählen der Klimaforscher Hans von Storch und der Ethnologe Werner Krauß die Geschichte der Verschmelzung von Klimawissenschaft und Politik.1 Dadurch wurde die Wissenschaft parteiisch, die Politik autoritär, weil sie die Fähigkeit zur Aushandlung von Lösungen verlor, und die Gesellschaft spaltete sich. Die Autoren plädieren für die Entpolitisierung der Wissenschaft und die Re-Politisierung des Umgangs mit dem menschengemachten Klimawandel. Für Politik und Forschung gilt es, die „postnormale“ Situation der Wissenschaft zu verstehen, in der das Wissen unsicher ist, Wertvorstellungen in die Diskussion eingebracht werden, viel auf dem Spiel steht und die Entscheidungen dringlich sind. In dieser Lage sollte die Wissenschaft ins zweite Glied zurücktreten und die Rolle eines Ratgebers und Vermittlers für Perspektiven und Optionen übernehmen. Die Politik sollte sich entdogmatisieren und Konflikte beim Klimaschutz als grundsätzlich aushandelbar betrachten.
Seit 2013, dem Erscheinungsjahr des Buchs, ging die Entwicklung mit noch größerer Geschwindigkeit in die Richtung, vor der die Autoren warnen. Die Grenze zwischen Wissenschaft und Aktivismus wurde weiter verwischt, die Politik wurde noch dogmatischer und die Spaltung der Gesellschaft tiefer. Mit dem Auftreten von „Extinction Rebellion“ und „Letzte Generation“ übertraten Klimaaktivisten die Schwelle zur Kriminalität. Vor diesem Hintergrund scheint die nüchterne Wirtschaftsforschung, deren Ergebnisse sich nicht zur Dramatisierung eignen, kaum Gehör zu finden. Das zeigt erneut eine Analyse, die drei Ökonomen der Federal Reserve Bank von San Franzisko kürzlich vorgelegt haben.2
Dass Hitze und Kälte, also das Klima, einen Einfluss auf Produktivität und Wohlstand haben, sagt uns schon die Wirtschaftsgeschichte und der gesunde Menschenverstand. Hitze erschwert körperliche Arbeit und Denkarbeit, Kälte zwingt zum Kälteschutz. Dabei dürften die Effekte der Hitze schwieriger in den Griff zu kriegen sein als die der Kälte. Das ist wohl ein Grund, wenn auch nicht der wesentliche, warum die Menschen in den Ländern des „Globalen Südens“, wo es wärmer ist, im Schnitt weniger produktiv und daher ärmer sind als die Menschen im Norden – wichtiger für den Rückstand ist allerdings die oft schwache Ausbildung rechtsstaatlicher Institutionen (wie Daren Acemoğlu und James Robinson in ihrem Buch „Warum Nationen scheitern“ gezeigt haben).3
Was folgt aus dieser Einsicht für die künftige wirtschaftliche Entwicklung in einer wärmer werdenden Welt? Gregory Casey, Stephie Fried, und Ethan Goode haben Daten zur Lufttemperatur und wirtschaftlichen Entwicklung aus 155 Ländern unter die Lupe genommen, um den Zusammenhang zwischen Veränderungen von Temperatur und realem Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf zu untersuchen. Dabei steht das BIP pro Kopf sowohl für die Produktivität als auch den Wohlstand eines Landes. Die Temperaturveränderung wirkt sich aller Wahrscheinlichkeit nach auf das Niveau und nicht auf die Wachstumsrate der Produktivität aus. Und der Zusammenhang zwischen Änderungen der Temperatur und des BIP pro Kopf ist nicht-linear: sowohl die Temperatur als auch deren Quadrat beeinflussen die Produktivität.
Optimal ist eine Temperatur von durchschnittlich 13 Grad Celsius im Jahr. Steigt die Temperatur um einen Grad, würde sich zum Beispiel in Schweden, einem relativ kalten Land, die Produktivität um 0,71 Prozent erhöhen und in Indien, wo es schon heiß ist, um 1,05 Prozent senken. Die Ökonomen nutzen den gefundenen Zusammenhang, um die Wirkungen eines ungebremsten Temperaturanstiegs um rund vier Grad relativ zum Durchschnitt von 1986-2005 (Representative Concentration Pathway 8,5 des Weltklimarats) zu prognostizieren.
Sie finden, dass das BIP pro Kopf im Jahr 2100 im Weltdurchschnitt um 3,4 Prozent unter dem Wert liegen würde, der ohne Temperaturanstieg erzielt würde. Für ein übermäßig pessimistisches Temperaturszenario mit beinahe 80 Jahre Laufzeit ist das eine erstaunlich geringe Abweichung. Und es gibt nicht nur Verlierer, sondern auch Gewinner. So dürfte das BIP pro Kopf in kälteren Ländern wie Finnland um 6,0 Prozent, Schweden um 4,3 Prozent und Deutschland um 1,7 Prozent steigen. Heiße Länder verlieren, von -2,1 Prozent in Spanien über -8,5 Prozent in Indien bis zu -10 Prozent in Benin.
Die prognostizierten Verluste durch einen ungebremsten Temperaturanstieg sind überschaubar und deutlich geringer als im umstrittenen „Stern-Report“ aus dem Jahr 2006, den bekannte Ökonomen als methodisch unsauber und parteiisch kritisiert haben. Dort wurden die Verluste auf fünf Prozent des BIP im Jahr geschätzt. Aber die Ergebnisse der US-Forscher stimmen mit denen einer Studie des Internationalen Währungsfonds aus dem Jahr 2017 überein. Auch dort profitiert der Norden vom Temperaturanstieg, während der Süden verliert. Der Klimawandel ist zwar ein globales Phänomen, aber seine Wirkungen sind regional sehr verschieden.
Daraus folgt erstens: Regionale Maßnahmen zur Anpassung sind noch wichtiger als die globale Verringerung von Treibhausgasen. Denn Anpassung schafft direkt Abhilfe während das Kohlendioxidmanagement auf globaler Ebene bis heute nicht funktioniert. Seit 1997, als auf dem Weltklimagipfel in Kyoto erstmals eine Verringerung des Kohlendioxidausstoßes beschlossen wurde, stieg die CO2-Konzentration ihrem langjährigen Trend folgend unbeeindruckt von 365 ppm (parts per million) auf 421 ppm heute weiter. Zweitens: Der Norden könnte fairerweise die ihm durch den unvermeidlichen Tempertaturanstieg zufallenden Gewinne in Maßnahmen zur Klimaanpassung im Süden investieren. Das wäre eher vermittelbar als die vom Süden oft geforderten Strafzahlungen für die CO2-Emission während der Industrialisierung (wovon der Süden auch profitiert hat). Dazu wären jedoch bessere institutionelle Strukturen im Süden und eine internationale Kooperation nötig. Doch an beidem hapert es gehörig.
Drittens und am wichtigsten wäre aber eine nüchternere Betrachtung des Klimawandels in Wissenschaft und Politik statt der um sich greifenden Hysterie. Eitelkeit, Machthunger und wirtschaftliche Interessen von Forschern haben die Klimawissenschaft korrumpiert und politisiert. Damit haben die Forscher ihre Glaubwürdigkeit unterminiert und der Wissenschaft insgesamt einen Bärendienst erwiesen. Gleichzeitig hat die Dogmatisierung der Politik die gesellschaftliche Spaltung vorangetrieben. Davor haben von Storch und Krauß schon vor einem Jahrzehnt gewarnt. Leider sind sowohl ihre Warnung als auch ihr Aufruf zur Besserung unerhört geblieben.
Downloads:
1 Von Storch, Hans und Werner Krauß, Die Klimafalle. Carl Hanser 2013.
2 Casey Gregory, Stephie Fried, und Ethan Goode, How Long Do Rising Temperatures Affect Economic Growth? FRBSF Economic Letter, 2023-15 | June 26, 2023.
3 Acemoğlu Daren und James Robinson, Warum Nationen scheitern - Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut. S. Fischer 2013.
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