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Gesellschaft
12 Minuten

US-Wahl: „Es ist ein Teufelskreis“

- Flossbach von Storch

Die Amerikaner wählen einen neuen Präsidenten. Drohen dann politische Verwerfungen? Ein Gespräch über Joe Biden, Donald Trump und die Gefahren einer polarisierten Gesellschaft in den USA.

Dem amtierenden US-Präsidenten Joe Biden ist es durch seine zurückhaltende Rhetorik und verbindliches Auftreten seit seinem Amtsantritt 2021 nicht gelungen, Brücken zwischen den politischen Lagern zu bauen und so die durch Ex-Präsident Donald Trump bewusst angeheizte Polarisierung zu entschärfen. Die Nation scheint durch unversöhnliche Extreme gespalten.

Mehr noch: Nach der Präsidentschaftswahl im November könntenin den USA gewalttätige Ausstreitungen drohen, erklärt Norbert F. Tofall, Senior Research Analyst am Flossbach von Storch Research Institute – egal, wer von beiden Kandidaten das Rennen macht. Ein Gespräch über die Lage in den USA.

Herr Tofall, ist US-Präsident Joe Bidens Taktik, Donald Trumps bisherige Aufruhr-Themen (Protektionismus, Afghanistan, Grenzschutz zur Abwehr von Migranten usw.) aufzugreifen und neu zu besetzen, aufgegangen?

Nein, Biden ist es in seiner Amtszeit bislang nicht ansatzweise gelungen, die politische und gesellschaftliche Polarisierung in den USA zu reduzieren. Und Trump wurde trotz seiner Wahlniederlage im November 2020, trotz des Sturms auf das Kapitol im Januar 2021 und trotz zahlreicher strafrechtlicher Anklagen politisch bislang nicht entzaubert. Stattdessen scheint er die Republikanische Partei stärker unter Kontrolle zu haben als jemals zuvor.

Was bedeutet dieser Zustand für die politische und wirtschaftliche Stabilität des Landes?

Trumps ständig wiederholte Behauptung, ihm sei 2020 der Wahlsieg gestohlen worden, hat nicht nur die Polarisierung weiter angeheizt, sondern das Vertrauen vieler US-Amerikaner in die Stabilität der politischen Institutionen der USA geschwächt. Früher oder später zeitigt beschädigtes Vertrauen in politische Institutionen auch immer Folgen für die Wirtschaft. Darüber hinaus wirken die kulturkämpferischen Frontstellungen in den USA, die durch rechte und linke Identitätspolitik geprägt sind, zurück auf die Wirtschaftspolitik.

Inwiefern?

Indem sie die Formulierung eines ökonomischen und politischen Programms verhindern, das über Parteigrenzen hinweg hinreichend Zustimmung erhalten könnte – und geeignet ist, politische und ökonomische Problemverschleppungen und Politikblockaden zu beenden.

Beschädigtes Vertrauen, Kulturkampf, Blockaden – gibt es keinen Ausweg aus dieser Misere?

Es ist ein Teufelskreis. Da die institutionellen politischen Strukturen in den USA nicht auf einseitige Richtungsentscheidungen ausgelegt sind, sie im Gegenteil durch „Checks and Balances“ verhindert werden sollen, führt politische Polarisierung in den USA regelmäßig zu Politikblockaden und Problemverschleppungen. Politikblockaden und Problemverschleppungen erhöhen dann abermals die politische und gesellschaftliche Polarisierung.

Nachdem Trump nicht durch ein Gerichtsurteil für die Vorwahlen disqualifiziert werden konnte, steht er im November wieder gemeinsam mit Joe Biden auf den Stimmzetteln. Welcher Wahlausgang ist in dieser Gemengelage der „gefährlichere“ für die USA?

Beide Szenarien bergen Risiken in sich. Bei einem erneuten Sieg von Biden ist einerseits zu befürchten, dass ein unterlegener Donald Trump und seine Anhänger erneut behaupten werden, Trump sei der Wahlsieg gestohlen worden. Ein neuer Sturm auf das Kapitol oder andere Formen bürgerkriegsähnlicher Aktionen könnten die Folge sein. Aber auch bei einem Wahlsieg von Donald Trump, insbesondere wenn dieser knapp ausfällt, sind bürgerkriegsähnliche Aktionen aus dem Lager seiner Gegner nicht auszuschließen.

Ein Wahlsieg von Trump hätte allerdings noch einen weiteren Preis, oder?

Ja, denn es droht die Gefahr eines systematischen Aushebelns der „Checks and Balances“, also ein Umbau der US-amerikanischen Verfassungsordnung, mit der verschwörungstheoretischen Begründung, dass der „Deep State“ bereits in der ersten Amtszeit von Donald Trump seine Politik massiv behindert hätte und ihm im November 2020 sogar seinen Wahlsieg gestohlen habe. Joe Biden und seine Anhänger warnen deshalb vor einer gezielten Beschädigung der Demokratie durch Trump und vor einem aufziehenden Faschismus in den USA.

Kann man Trump denn als einen Faschisten bezeichnen?

Er ist sicherlich kein ideologischer Faschist wie Mussolini oder Hitler. Um zu erkennen, dass seine abgrundtiefe Selbstverliebtheit und seine Vorliebe für Befehle und Anordnungen, die mit einer enormen Skrupellosigkeit und demagogischen Grobheit einhergeht, demokratische Institutionen beschädigen und deshalb durchaus zum Faschismus führen können, muss anders angesetzt werden.

Und zwar?

Ich würde ihn als den Clodius Pulcher der USA charakterisieren. Pulcher (92 v. Chr. – 52 v. Chr.) war ein Politiker in der Zerfallsphase der römischen Republik. Eigentlich stammte er aus einer Adelsfamilie. Er ließ sich aber von Bürgerlichen adoptieren, um ein vom Volk gewählter Amtsträger werden zu können. Bei der Durchsetzung seiner Politik setzte er dann gezielt Gewalt und Straßenkämpfe zur Zerstörung der öffentlichen Ordnung und politischen Institutionen ein – die Bürger liebten und verehrten ihn dennoch, denn er kämpfte gegen die etablierten Eliten, die sich nach ihrer Ansicht hemmungslos bereicherten, das römische Gemeinwesen ausbeuteten und sich nicht an die tradierten Sitten und Regeln hielten.

Aber Clodius stammte doch selbst auch aus dem Establishment!

Das stimmt. Er bereicherte sich sogar noch hemmungsloser als seine Standesgenossen, gab das aber ohne Scham offen zu. Sein Erfolg bestand gerade darin, diese Schamlosigkeit und die Verachtung der tradierten Sitten und Regeln zum Prinzip erhoben zu haben.

Clodius Pulcher und Donald Trump: Zwei populistische Unterhaltungsstars…

Was sie so gefährlich macht, ist die Tatsache, dass sie aus angeblich guten Gründen und durch das gezielte Verletzen und Missachten von Moral, Anstand, tradierten Sitten und Regeln, die eigentlich für Wohlstand für alle sorgen sollen, de-zivilisierende Prozesse in der Bevölkerung in Gang setzen. Denn der Verweis, dass Moral und Anstand, tradierte Sitten und Regeln für Wohlstand für alle sorgen, wird nicht mehr geglaubt. Die Eliten in Wirtschaft, Medien, Politik und Wissenschaft verlieren das Vertrauen, weil sie sich vielfach an der Durchsetzung von Sonderinteressen auf Kosten Dritter beteiligt haben, geben dieses Versagen aber nicht zu. Sie heucheln sogar, dass sie die geltenden Regeln und Regelsysteme einhalten würden. Die mimetischen Rivalitäten werden dadurch ihres zivilisierenden Kleides beraubt, liegen offen zu Tage.

 

"Um diesen Prozess in Gang zu setzen, muss nur jemand den ersten Stein werfen. Jemand, dem es egal ist, dass er nicht ohne Sünde ist und der genau weiß, dass er gerade durch die öffentliche Zurschaustellung und der eigenen Verruchtheit und Schamlosigkeit den Applaus der wütenden Massen erntet, die danach dürsten, dass ihnen jemand bestätigt, dass es da oben genauso verrucht zugeht, wie sie schon immer vermutet haben."

Wie funktioniert das konkret?

Durch eine verstärkte Freund-Feind-Polemik entsteht ein Ziel, auf das sich die entfesselte Aggression der Einzelnen und der anonymen Massen richten kann. In diesem Zustand müssen die Menschen nur noch angestachelt werden, damit durch mimetische Ansteckung ein Furor entsteht, der die bisherige Ordnung und Regelsysteme ins Wanken bringen kann.

Polarisierung als „Waffe“ also, beziehungsweise Aufruhr als Geschäftsmodell?

Genau. Die entstehende politische und gesellschaftliche Polarisierung wird absichtlich nicht minimiert, sondern maximiert und in alle Bereiche getragen. Um diesen Prozess in Gang zu setzen, muss nur jemand den ersten Stein werfen. Jemand, dem es egal ist, dass er nicht ohne Sünde ist und der genau weiß, dass er gerade durch die öffentliche Zurschaustellung und der eigenen Verruchtheit und Schamlosigkeit den Applaus der wütenden Massen erntet, die danach dürsten, dass ihnen jemand bestätigt, dass es da oben genauso verrucht zugeht, wie sie schon immer vermutet haben.

Wer könnte das glaubwürdiger als jemand wie Donald Trump…

Trump wusste aufgrund seiner langjährigen Erfahrungen als Medienunternehmer und populärer Unterhaltungsstar schon 2015/2016 sehr genau, wie er agieren muss, um einen derartigen gesellschaftlichen Prozess in Gang zu setzen. Das hatte er spielerisch in seinen TV-Shows über Jahre erfolgreich inszeniert. Seine Äußerung, er könne jemanden auf offener Straße erschießen und würde trotzdem nicht an Popularität verlieren, ist lehrreich.

Sie beschreiben in Ihrem jüngsten Essay noch eine weitere Gefahr, die von Trump ausgeht…

Es sind zwei Punkte. Einerseits zerstört er durch seine ständige Behauptung beziehungsweise Lüge, der „Deep State“ hätte ihm die Wahl gestohlen, zielgerichtetdie gesellschaftliche Befriedungsfunktion von demokratischen Wahlen. Gleichzeitig erklärt Trump diejenigen, die diese Lüge nicht vertreten oder ihr sogar offen entgegentreten, zu Verrätern. Und Verräter werden von ihm und seinen Anhängern verfolgt und geächtet. Für ihn sind sie Feinde von „MAGA“ – Feinde von „MAKE AMERICA GREAT AGAIN“.

"Soll MAGA diesmal gelingen, muss der „Deep State“ vernichtet werden. Deshalb hat Donald Trump für den Fall seines Wahlsieges im November angekündigt, alle Personen in Justiz und Politik auszutauschen, die sich ihm in den Weg gestellt haben. Dass das ohne eine Beschädigung der Unabhängigkeit der Gerichte und ohne Aushebelung der „Checks and Balances“ umgesetzt werden kann, ist unwahrscheinlich."

Was bedeutet dieses Feindbild im Falle seiner Wiederwahl?

In dieser Sichtweise werden auch die „Checks and Balances“ der US-amerikanischen Verfassung, welche auch die politischen Handlungsmöglichkeiten eines gewählten Präsidenten begrenzen sollen, als Teil des „Deep State“ denunziert, eines Deep State, der sich gegen MAGA stellt. Soll MAGA diesmal gelingen, muss der „Deep State“ vernichtet werden. Deshalb hat Donald Trump für den Fall seines Wahlsieges im November angekündigt, alle Personen in Justiz und Politik auszutauschen, die sich ihm in den Weg gestellt haben. Dass das ohne eine Beschädigung der Unabhängigkeit der Gerichte und ohne Aushebelung der „Checks and Balances“ umgesetzt werden kann, ist unwahrscheinlich.

So sehr Donald Trump Nutznießer dieser Polarisierung ist, die Verursachung kann man ihm nicht ankreiden, oder?

Nein, ohne die sich seit nunmehr zweieinhalb Jahrzehnten verstärkende Polarisierung in den USA zwischen rechter und linker Identitätspolitik hätte ein Charakter wie Donald Trump nicht die geringste Chance gehabt, im Jahr 2016 Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika zu werden. Und es wäre ihm nach seiner Wahlniederlage im November 2020, nach dem Sturm auf das Kapitol im Januar 2021 und vor allem angesichts seiner vielen Strafrechtsverfahren auch nicht gelungen, die Republikanische Partei im Jahr 2024 mehr denn je unter seiner Kontrolle zu haben.

Angenommen, Trump gewinnt die Wahl. Wie schnell könnte er damit beginnen, seine Pläne umzusetzen?

Schnell! Anders als 2016 existiert bereits eine personell und programmatisch präparierte „Regierung im Wartestand“, die einer Machtübernahme umgehend ihre Arbeit aufnehmen könnte.

Er wäre dann durch nichts zu bremsen?

Er benötigt für jedes Gesetz sowohl die Zustimmung des Repräsentantenhauses als auch die des Senats, was nur wahrscheinlich ist, wenn die Republikanische Partei bei den Wahlen im November in beiden Häusern des Kongresses die Mehrheit erlangt. Sollte das nicht der Fall sein, ist er auf parteiübergreifende Kompromisse angewiesen. Aufgrund des selbst von ihm befeuerten Kulturkampfes sind Kompromisse in vielen Fragen nicht sehr wahrscheinlich, was zu weiteren Politikblockaden und Problemverschleppungen führt.

Womit wir wieder bei dem Teufelskreis angelangt wären…

Trump dürfte dann versucht sein, vermehrt durch Exekutivanordnungen zu regieren und deren Grenzen auszuloten und auszuweiten, so dass den Gerichten eine entscheidende Rolle zuwächst. An dieser Stelle werden seine Äußerungen, er werde Diktator sein, aber nur für einen Tag, bedeutsam. Dass er den sogenannten "Deep State" vernichten will, hat er angekündigt. Das dürfte ohne eine Verletzung der „Checks and Balances“ aber nur schwer umzusetzen sein. Das bedeutet, dass ein noch so umfassendes und bereits ausformuliertes Regierungsprogramm durch die „Checks and Balances“ ausgebremst werden könnte, aber gerade dadurch die Versuchung für Trump steigt, sie auszuhebeln.

Biden ist 81. Trump ist 77. Beide hatten bereits altersbedingte Ausfälle auf offener Bühne, Biden öfter als Trump. Beide können aus gesundheitlichen Gründen noch vor November ausfallen – wäre das, bei allem Respekt, vielleicht ein Hoffnungsschimmer?

Eine Nation wie die USA mit über 330 Millionen Einwohnern scheint derzeit nicht in der Lage zu sein, jüngere Kandidaten ins Rennen zu schicken. Die tieferen Ursachen dafür dürften in der Polarisierung der US-amerikanischen Gesellschaft und dem immer heftiger werdenden Kulturkampf liegen. Aber auch jüngere Kandidaten sind keine Garantie für die Überwindung von Polarisierung.

Warum nicht?

Bislang hat kein Politiker in den USA ein Programm zur Überwindung von Polarisierung vorgelegt. Beschädigungen der Demokratie in den USA und die Gefahr einer neuen Form von Faschismus folgen nicht ursächlich aus dem selbstverliebten Agieren von Donald Trump, sondern daraus, dass sich bislang keine wirksame politische Bewegung zur Überwindung von Polarisierung in den USA gebildet hat.

Über den Autor:

Norbert F. Tofall ist seit 2014 Senior Research Analyst des Flossbach von Storch Research Institute im Bereich makroökonomische Analyse mit der Ausrichtung „Economics, Politics and Philosophy“.

Tofall war von 2008 bis 2013 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler. Von 2004 bis 2011 war er Lehrbeauftragter für die Vorlesung „Recht und Freiheit in Europa“ der Europa Universität Viadrina Frankfurt/Oder im Studiengang „Master in International Management“.

Er ist Mitglied im Expertenpool der Bundesregierung für internationale Friedenseinsätze und hat als internationaler Wahlbeobachter an verschiedenen OSZE- Wahlbeobachtungen teilgenommen. Er studierte Betriebswirtschaftslehre und Philosophie an den Universitäten Paderborn und Tübingen.

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