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Nachhaltig auf der langen Bank

- Christof Schürmann

In Berlin wird Sven Lehmann zum ersten „Queer-Beauftragten“ der Bundesregierung ernannt. Stunden später erklären die Dallas Mavericks, die Spielernummer 41 nicht mehr zu vergeben, die Basketball-Legende Dirk Nowitzki Zeit seiner Karriere bei den Mavs getragen hatte. Und, von der Öffentlichkeit weitgehend übersehen: In Brüssel setzt die Europäische Union die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) in Kraft. Ein weiterer politischer Erfolg für die den Aufwuchs der Bürokratie vorantreibende Kommission unter Führung ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen (CDU).

Seither sind gut 18 Monate vergangen. Genau die Zeitspanne, in der die EU-Länder die CSRD-Richtlinie in nationales Recht hätten umsetzen müssen.

Strenge Regeln

Die Richtlinie zurrt strenge Regeln fest, wie denn Unternehmen über ihre Bemühungen zur Co2-Reduktion zu berichten haben. Zusätzlich fordert sie Angaben zu Sozialem und Unternehmensführung.1 In Deutschland dient das Handelsgesetzbuch (HGB) als gesetzliche Basis, in das die Richtlinie eingepflegt wird. Spätester Stichtag dafür war der 6. Juli 2024.2

In Frankreich erließ das Parlament bereits am 6. Dezember 2023 die Verordnung Nr. 2023-1142 und am 30. Dezember 2023 das Dekret Nr. 2023-1394 zur Umsetzung der CSRD.3 In Deutschland war man da noch lange nicht so weit, gleiches gilt etwa für den Nachbarn Österreich. Erst seit 22. März dieses Jahres liegt im Berliner Bundesjustizministerium der Entwurf zur Umsetzung vor.4

Kurz vor der Sommerpause zeichnete sich schon ab: Die Bundesregierung würde die Latte 6. Juli reißen. Damit zumindest nach der Sommerpause im September die Schleichfahrt fortgesetzt werden kann, sollte sich wenigstens das Kabinett in seiner Sitzung am 3. Juli abschließend zur CSRD beraten haben. Selbst daraus wurde nichts. Der Haushalt 2025 hatte Vorrang.

Gesetzliche Grundlage fehlt

Den Sommer über, und möglicherweise noch länger, stehen die offiziell geschätzten 13.200 Unternehmen in Deutschland, die von der Richtlinie betroffen sind, vor der Frage: Was nun?

Seit dem 1. Januar 2024 ist die CSRD anzuwenden. Das bedeutet, dass die vom kommenden Januar an zu erstellenden Geschäftsberichte die Richtlinie zwingend berücksichtigen müssen.

Dabei geht es stufenweise voran. Betroffen sind zunächst alle Unternehmen, die bereits unter die sogenannte Non-Financial Reporting Directive (NFRD) fallen, die von der CSRD abgelöst wird. Das sind Unternehmen von öffentlichem Interesse mit mehr als 500 Beschäftigten. In der EU sind das 11.700 Unternehmen. Vorgesehen ist, dass sukzessive alle Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern, einer Bilanzsumme von 25 Millionen Euro und Jahreserlösen von wenigstens 50 Millionen Euro den CSRD-Berichtspflichten nachkommen müssen, und zwar unabhängig von einer Börsennotierung.5 Die Untergrenzen für Bilanzsumme und Jahresumsatz wurden dabei gegenüber den ursprünglichen Ansätzen ein wenig erhöht.

Kaum Spielraum

Der Ampelregierung wäre es eigentlich ein Leichtes, die CSRD durchzuwinken. Denn der Spielraum, den Brüssel gibt, ist minimal. Die Stakeholder der Unternehmen sollen EU-weit Berichte unter demselben Rechtsrahmen erhalten, um eine Vergleichbarkeit zumindest theoretisch zu gewährleisten.

Aber Deutschland wäre nicht Deutschland, wenn es auch einfach ginge. Zum einen haben findige Experten einen wichtigen Umsetzungsfehler bei der Übersetzung der Richtlinie ins Deutsche beziehungsweise deren Interpretation gefunden. Zum anderen tobt ein Streit darüber, wer sich denn so alles ein Stück vom Kuchen abschneiden darf. Es geht um die lukrativen Prüfmandate.

Bei den Kosten für die Umsetzung der CSRD handelt es sich nicht um Kleckerbeträge. Der einmalige Aufwand wird auf 748 Millionen Euro geschätzt, die laufenden jährlichen Kosten auf 1,4 Milliarden Euro.6

Doppelte Wesentlichkeit

Doch der Reihe nach. Ein zentrales Thema der CSRD ist die sogenannte „doppelte Wesentlichkeit“. Dem Konzept nach sind nicht-finanzielle Aspekte mit finanziellen Aspekten abzugleichen, um festzulegen, was für die Berichterstattung wichtig ist. Nicht-finanziell sind dabei die Auswirkungen der Geschäfte eines Unternehmens auf Mensch und Umwelt, kurz-, mittel- und langfristig betrachtet. Finanziell wesentlich sind Umweltaspekte, die sich monetär auf den Betrieb, Gewinne und Existenz des Unternehmens auswirken.

Genau da hakt es. So wird es kritisch gesehen, dass Deutschland laut Referentenentwurf bei der geforderten „doppelten Wesentlichkeit“ keine „unmissverständliche Formulierung“ für die Umsetzung gefunden habe.7 Demnach sei in der originalen, englischen Version eine wesentliche Passage als „oder“ zu interpretieren8, in der deutschen Version jedoch wird eindeutig ein „sowie“ genannt. Letzteres hätte wohl noch umfangreichere Angaben zur Folge als eigentlich vorgesehen.

Dazu ist offen, inwieweit es Widersprüche der CSRD mit dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz geben könnte, was die Berichtspflichten betrifft. Auch sollen technische Vorgaben für die seit 2020 vorgeschriebene digitale Verarbeitung noch nicht vollständig vorliegen.

Wer prüft?

Auf eine Klarstellung müssen die deutschen Unternehmen bei den genannten Punkten genauso noch warten, wie auf eine Antwort auf die Frage, wer denn die Angaben in den Geschäftsberichten prüfen wird.

Der im März veröffentlichte Referentenentwurf sieht da bisher Wirtschaftsprüfer vor.9 Das begrüßt und unterstützt, wenig verwunderlich, das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (IDW).

Einige Wirtschaftsverbände, der Mittelstand und mittelständische Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, denen es an Personal für die Ausweitung ihres Audits fehlt, drängen jedoch auf eine Öffnung.10 Auch technische Zertifizierer wie etwa der TÜV sollten demnach mit der Prüfung der Nachhaltigkeitsberichterstattung beauftragt werden dürfen. Der TÜV sieht das naturgemäß genauso.11 Ob sogenannte Independent Assurance Services Providers, als ergänzende Auditoren zugelassen werden sollen, wird schon seit Jahren kontrovers und bisher ergebnislos diskutiert.12

Der Umfang der Prüfung kann jedenfalls erheblich sein. Je nach Umsatzgröße müssen Unternehmen bis zu 1.200 Datenpunkte in ihrer neuen Nachhaltigkeitsberichterstattung berücksichtigen.

Massive Regelungslücke

Da die Erstellung eines Geschäftsberichts für das Jahr 2024 nicht erst am 1. Januar 2025 startet, sondern ein laufender Prozess ist, sehen sich die deutschen Unternehmen einer massiven Regelungslücke gegenüber. Die Anforderungen der EU-Richtlinie sind zwar sicher, aber eben nicht in jedem Detail in der deutschen Umsetzung geklärt. Und wer auf ein externes, zusätzliches Audit angewiesen ist, der sollte sich ja schon längst dafür umgetan haben. Doch solange nicht feststeht, ob auch außerhalb der Wirtschaftsprüferbranche Aufträge vergeben werden dürfen, stehen insbesondere Mittelständler auf dem Schlauch.

Dazu kommt: Schon die Datenerhebung wird lückenhaft sein, wie jüngst erst die Deutsche Bundesbank in ihrem neuen Klimabericht einräumte.13

Die valide Überprüfung der Daten ist eine Herkulesaufgabe. Wenn sich Investoren angesichts zahlreicher Bilanzskandale sogar testierten, klassischen Bilanzen eher mit Vorsicht nähern sollten, gilt das erst recht gegenüber dem neuen Feld Umweltdaten. Die enormen Kosten dürften – zumindest zunächst – so oder so kaum im Verhältnis zum Informationsgehalt stehen.

Übrigens: Schon seit dem vierten Quartal 2023 verzeichnen ESG-Fonds Abflüsse.14 Das Interesse der Investoren, für die die Unternehmen in erster Linie Geschäftsberichte erstellen, erlahmt also, bevor es überhaupt eine halbwegs valide Grundlage für eine „klimafreundliche“ Investitionsentscheidung gibt.

Und eine Gegenentlastung für die CSRD-Pflichten gibt es nicht. Denn als EU-Regulierung unterliegt die Richtlinie nicht der „One in, one out“-Regel der Bundesregierung, die vorsieht, dass für jede neue Vorschrift eine andere abgeschafft wird.

Sicher ist also nur: Es wird wieder einmal mehr Personal benötigt, um pflichtbewusst Listen auszufüllen und Häkchen zu machen.

Das Bundesjustizministerium zählt 897 Mitarbeiter. Im Bundestag mit seinen 734 Abgeordneten ist Personal über alle Maße vorhanden. Um die für die Wirtschaft enorm wichtige Richtlinie wenigstens auf den letzten Drücker zu verabschieden, hat es trotzdem nicht gereicht. Es gibt also reichlich Stoff für einen Nachfolger des genialen Franz Kafka.

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