Wirtschaftsmotor, Supermacht, Parteidiktatur. Wer sich für globale Trends interessiert, der blickt nach China. Die Analystin Shenwei Li berichtet in unserer Serie "Mail aus Shanghai" von ihren Erfahrungen – subjektiv, aus dem Blickwinkel einer Chinesin. Diesmal geht es um die Volksrepublik als Steuerparadies.
Wie die Deutschen müssen auch wir Chinesen, die im Berufsleben stehen, Jahr für Jahr eine Einkommensteuererklärung abgeben. Auch bei uns macht das kaum jemand gerne. Doch zumindest muss in China nur eine Minderheit diese Steuern auch tatsächlich zahlen.
Das zeigen Eckdaten der State Taxation Administration für das Geschäftsjahr 2023. Es war das erste Mal, dass die Behörde überhaupt Daten zur Einkommensteuer offenlegte. So stellten anno 2023 die Einkommensteuern von Privatleuten nur acht Prozent aller Steuereinnahmen des chinesischen Staates.
Jeder, der bei uns jährlich weniger als 60.000 Renminbi umgerechnet 7.787 Euro, (Stand 8. November 2024) verdient, muss nach aktuellen Steuerregeln keine Einkommensteuer zahlen. Zudem mindern Absetzbeträge für Kindererziehung, Unterhaltshilfen für Eltern in Rente, Hypothekenzinsen, Mieten, Weiterbildungen, schwere Erkrankungen sowie für Sozialversicherungsbeiträge die Steuerlast. Und so fallen in der Regel erst für Verdiener mit einem Einkommen ab 100.000 Renminbi (12.981 Euro) Einkommensteuern an.
Unterm Strich mussten laut Steuerbehörde im Jahr 2023 etwa 70 Prozent der Bürger mit einer Steuererklärungspflicht keine Einkommensteuer überweisen. Unter den restlichen 30 Prozent der Zahlungspflichtigen galten 60 Prozent (mit einem Jahreseinkommen von bis zu 150.000 Renminbi oder 19.530 Euro) als Niedrigverdiener.
Sie unterliegen einem Steuersatz von drei Prozent. Nur zwölf Prozent der Steuerzahler zahlten letztlich einen Steuersatz von zehn Prozent und mehr. Insbesondere ein Prozent der Steuerzahler, die jährlich mehr als eine Million Renminbi (umgerechnet 129.700 Euro) verdienten, schulterte 50 Prozent der Steuerlast.
Ihr Steuersatz liegt bei 45 Prozent. Auf die zehn Prozent Bestverdiener im Land entfielen mehr als 90 Prozent der in China gezahlten Einkommensteuer. Dieser Konzentrationsgrad ist nach der Steuerbehörde erwünscht, weil nach der 2018 eingeführten Einkommensteuerreform die Niedrigverdiener weniger belastet werden sollen als die Gutverdiener.
Und das scheint auch zu funktionieren, zeigt ein Vergleich des Wachstums verfügbarer Einkommen (Bruttoeinkommen abzüglich Einkommensteuer und Sozialversicherungsbeiträge plus Sozialtransfers) seit 2018. Bei den jährlich ermittelten Pro-Kopf-Daten unseres Statistikamts werden die verfügbaren Einkommen nach den fünf Gruppen „low“, „lower-middle“, „middle“, „upper-middle“ und „high“ unterschieden.
Für die Gruppe „low“, ist das verfügbare Einkommen seit 2018, als das neue Einkommensteuergesetz in Kraft trat, von 6.440 auf 9.200 Renminbi anno 2023 gestiegen. Bei der Gruppe „middle“ lag der Anstieg von 23.139 auf 32.185 Renminbi und bei „high“ waren es von 70.640 auf 95.055 Renminbi.
Alle drei Gruppen konnten laut Statistik also in den vergangenen fünf Jahren um mehr als durchschnittlich sechs Prozent per annum zulegen. Seit 2018 betrug der durchschnittliche jährliche Zuwachs für die Niedrigverdiener („low“) durchschnittlich 7,4 Prozent per annum, bei den Bestverdienern („high“) waren es durchschnittlich 6,1 Prozent.
Die Reicheren haben also beim Wachstum des verfügbaren Einkommens etwas weniger zugelegt. Auch das „Lower-middle“- Einkommen ist um mehr als sieben Prozent per annum gewachsen. Und die Wohlstandsschere? – War das durchschnittliche „High“- Einkommen anno 2018 elf Mal so hoch wie das „Low“-Einkommen, ist dieser Faktor 2023 immerhin auf 10,3 gesunken.
Die Steuerstatistik vermittelt aber auch den Eindruck, dass die Mehrheit der Chinesen mit einem Jahreseinkommen von unter 100.000 Renminbi wohl arm geblieben ist. Die Wohlstandsschere muss zudem sehr groß sein, wenn auf ein Prozent der Steuerzahler 50 Prozent des Einkommensteueraufkommens entfallen.
Hier sollte man sich vor Augen halten, dass es auch in China einige Steuerbegünstigungsmöglichkeiten gibt. Wenn beispielsweise „Live-Streamer“, von denen einige bei uns Millionen verdienen, Arbeitsstudios eröffnen, anstatt sich als private Steuerzahler veranlagen zu lassen, unterliegen sie einem Steuersatz von fünf bis zehn Prozent (gegenüber womöglich 45 Prozent als private Steuerzahler). Durch solche Möglichkeiten entstehen Verzerrungen. Zudem sind Mieteinnahmen bei uns steuerfrei. Auch gibt es keine Kapitalertragsteuer.
Doch vor allem spielt die Einkommensteuer bei uns keine bedeutende Rolle. So lagen die gesamten Steuereinnahmen in China 2023 bei 18,1 Billionen Renminbi. Auf das Steueraufkommen aus der Einkommensteuer entfielen nur 1,5 Billionen Renminbi oder eben acht Prozent der Steuereinnahmen.
Am wichtigsten ist bei uns die Mehrwertsteuer mit einem Anteil von 29 bis 39 Prozent in den vergangenen fünf Jahren, gefolgt von den Unternehmensteuern mit 23 bis 26 Prozent. Es folgten neben der Einkommensteuer die Konsumsteuer mit sieben bis neun Prozent.
Während also in Ländern wie den USA gerne von Steuerparadiesen für die Reichen gesprochen wird, profitiert bei uns die Mehrheit der Berufstätigen von diesem Steuersystem, also Bürgerinnen und Bürger mit niedrigem und niedrig-mittlerem Einkommen.
Verschiedene Fachbegriffe aus der Welt der Finanzen finden Sie in unserem Glossar erklärt.
RECHTLICHER HINWEIS
Diese Veröffentlichung dient unter anderem als Werbemitteilung.
Die in dieser Veröffentlichung enthaltenen Informationen und zum Ausdruck gebrachten Meinungen geben die Einschätzungen von Flossbach von Storch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wieder und können sich jederzeit ohne vorherige Ankündigung ändern. Angaben zu in die Zukunft gerichteten Aussagen spiegeln die Zukunftserwartung von Flossbach von Storch wider, können aber erheblich von den tatsächlichen Entwicklungen und Ergebnissen abweichen. Für die Richtigkeit und Vollständigkeit kann keine Gewähr übernommen werden. Der Wert jedes Investments kann sinken oder steigen und Sie erhalten möglicherweise nicht den investierten Geldbetrag zurück.
Mit dieser Veröffentlichung wird kein Angebot zum Verkauf, Kauf oder zur Zeichnung von Wertpapieren oder sonstigen Titeln unterbreitet. Die enthaltenen Informationen und Einschätzungen stellen keine Anlageberatung oder sonstige Empfehlung dar. Sie ersetzen unter anderem keine individuelle Anlageberatung.
Diese Veröffentlichung unterliegt urheber-, marken- und gewerblichen Schutzrechten. Eine Vervielfältigung, Verbreitung, Bereithaltung zum Abruf oder Online-Zugänglichmachung (Übernahme in andere Webseite) der Veröffentlichung ganz oder teilweise, in veränderter oder unveränderter Form ist nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung von Flossbach von Storch zulässig.
Angaben zu historischen Wertentwicklungen sind kein Indikator für zukünftige Wertentwicklungen.
© 2025 Flossbach von Storch. Alle Rechte vorbehalten.