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Krisen und Insolvenzen: Ist die Beziehung verschwunden?

- Pablo Duarte

Dem Ausbruch der Corona-Pandemie folgte die schwerste Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit und dennoch ist die Anzahl an Unternehmensinsolvenzen so stark gesunken, wie es seit Erhebung der Insolvenzstatistiken nicht der Fall war. Warum war das im Pandemiejahr 2020 anders?

Krisen und Insolvenzen

Ein Unternehmen wird insolvent, wenn es seine Zahlungsverpflichtungen nicht mehr erfüllen kann, auch wenn die Insolvenzregeln in ihrer konkreten Anwendung und den Sanierungsmöglichkeiten je nach Land unterschiedlich sind.

Ein Unternehmen kann während einer Krise in Zahlungsschwierigkeiten geraten, wenn das Geschäftsmodell beeinträchtigt wird oder wenn die Kreditbedingungen schlechter werden. Zahlungsunfähige Firmen müssen ihr Geschäft umstrukturieren oder aufgeben, wodurch neue Geschäftsmodelle entstehen können. Diese schöpferische Zerstörung schafft die Grundlage für einen neuen Aufschwung. Daher sollte man einen negativen Zusammenhang zwischen der Anzahl an Unternehmensinsolvenzen und dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) eines Landes erwarten.

Während der Coronakrise wurden zahlreiche Geschäftssparten beeinträchtigt. Die Regierungen haben auf die Corona-Pandemie überall hauptsächlich mit Lockdown-Maßnahmen reagiert und dadurch ein Angebots- und Nachfragerückgang verursacht. Insbesondere Branchen, die auf persönlichen Kontakten basieren, wie der Tourismus, die Gastronomie, Messen, Konzerte, usw., wurden betroffen. Doch warum blieben dort Insolvenzen aus?

Eine erste Erklärung findet man in den staatlichen Hilfsmaßnahmen. Weil nicht nur Insolvenzen, sondern auch ein Anstieg der Arbeitslosigkeit für die Regierungen unerwünscht waren, haben sie mit umfangreichen Hilfspaketen auf die Folgen ihrer Lockdownmaßnahmen reagiert. Kurzarbeitergeld, direkte Transfers („stimulus Checks“) und Veränderungen der Insolvenzregeln sollten verhindern, dass Unternehmen in Zahlungsschwierigkeiten geraten.1

Die staatlichen Hilfen erklären allerdings nur einen Teil der Geschichte. Vielmehr war der Zusammenhang zwischen Insolvenzen und Krisen vor der Corona-Pandemie bereits verschwunden.

Insolvenzen und Wachstum

Abbildungen 1 und 2 zeigen die Beziehung zwischen dem jährlichem Wachstum des BIPs und der prozentualen Veränderung der Insolvenzen zwischen 1980 und 2021 in Deutschland und den USA. In beiden Ländern ist grundsätzlich ein negativer Zusammenhang zu erkennen. Aufschwungsjahre gingen mit einem Rückgang der Insolvenzen einher und Krisenjahre mit einem Anstieg. Eine einfache lineare Regression zeigt, dass im Durchschnitt ein zusätzliches BIP-Wachstum von einem Prozentpunkt im Jahr mit einem Rückgang der Insolvenzen von 3,3 Prozentpunkten in Deutschland und 5,5 Prozentpunkten in den USA begleitet war.

Betrachtet man die Jahrzehnte einzeln, stellt man fest, dass die Beziehung zwischen Insolvenzen und Wirtschaftswachstum mit der Zeit schwächer geworden ist. Je stärker die Linien in den Abbildungen von links nach rechts abfallen, desto stärker ist die Beziehung. In Deutschland war die Beziehung in den 1980er Jahren am stärksten, und in den USA war dies in den 2000er Jahren der Fall. In beiden Ländern gingen BIP-Rückgänge (Punkte links von der Null-Linie) bis 2019 immer mit einem Anstieg der Insolvenzen einher (Punkte oberhalb der Null-Linie).

Die rote Linie für die Beziehung in den 2010er Jahre ist in den USA fast flach und in Deutschland hat sie sogar eine leicht positive Steigung. In diesem Jahrzehnt schienen Insolvenzen und Wirtschaftswachstum unabhängig voneinander zu laufen. Die Niedrigzinspolitk, die als Antwort der Zentralbanken auf die Finanzkrise von 2007/08 anfing und bis heute andauert, hat den Zusammenhang zwischen Wachstum und Insolvenzen aufgelöst. Durch die von den Zentralbanken stark gelockerten Finanzierungsbedingungen war es möglich, Zahlungsschwierigkeiten ohne Verbesserung der Geschäftsstruktur durch Innovation und Produktivitätserhöhung zu vermeiden. Damit wurde das Überleben von Firmen ermöglicht, die ohne die sehr günstigen Finanzierungsbedingungen keine Überlebenschancen gehabt hätten.2

Bis Ende 2019 war das makroökonomische Umfeld in den großen Industrieländern von geringer Produktivität, schwachem Wachstum und hoher Verschuldung gekennzeichnet. Dies ging mit sinkenden Zinsen einher.Als die Corona-Krise ausbrach, haben die Zentralbanken noch mehr Geld geschaffen und damit rekordhohe Staatsschulden ermöglicht. Firmeninsolvenzen wurden erfolgreich vermieden. Die Staatshilfen sicherten also die Trennung zwischen Insolvenzen und Wachstum ab. 

Sollte sich dieses Muster von Krise, Insolvenzvermeidung, Zombifizierung und schwaches Wachstum wiederholen, könnte der wichtigste Treiber von langfristigem Wachstum, nämlich Innovation, Schritt für Schritt auch ausgehebelt werden. Währenddessen werden einige weiter davon träumen, nachhaltiges Wachstum und Fortschritt durch Geldmehrung und notenbankfinanzierte Staatsschulden zu erreichen. Diese Strategie hat in der Geschichte noch nie funktioniert.


Siehe Duarte und Gehringer (2021) „Die fehlenden Insolvenzen“, Flossbach von Storch Research Institute.

2 Siehe Tofall (2017) „Zombifizierung und Geldpolitik“, Flossbach von Storch Research Institute. Der Anteil der in 14 Industrieländern an Aktienmärkten gelisteten Firmen wird auf 15 Prozent für das Jahr 2017 geschätzt. Siehe Ryan Banerjee and Boris Hofmann. “Corporate zombies: Anatomy and life cycle”. BIS Working Papers No 882 (September 2020).

3 Seihe dazu Schnabl, G. und Mayer, Thomas (2021) „Hayek contra Keynes“, Ludwig von Mises Institut Deutschland.  

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