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Märkte

„Inflation? Es ist nicht so glasklar, wie viele denken“

- Flossbach von Storch

Über kaum ein Thema wird derzeit so ausführlich berichtet wie über Inflation. Sind die Erwartungen weiter steigender Preise gerechtfertigt? Und steigen die Zinsen dann auch weiter an? Eine Einordnung von Frank Lipowski, Portfolio Manager des Flossbach von Storch Bond Opportunities.

Herr Lipowski, alle sprechen derzeit über Inflation. Wie ernst ist das Thema?

Die Aufregung in den Medien ist derzeit schon gewaltig. Viele Berichte und Analysen, übrigens auch aus der Finanzbranche, betrachten das Thema nach meinem Dafürhalten aber teilweise etwas „oberflächlich“. Mit Blick auf die Zinsmärkte wird außerdem unterschätzt, was bei den Inflationserwartungen und den Zinsen bereits eingepreist ist.

Die Verbraucherpreise sind zuletzt vor allem in den USA, aber auch in Europa deutlich gestiegen.

Natürlich ist das so – aber ist das wirklich überraschend? Nach einem ebenso massiven wie kurzzeitigen Wirtschaftseinbruch gibt es enorme Basis- und Nachholeffekte. Bis zum Spätsommer oder Herbst dürften die wohl mindestens noch anhalten. Die Ausweitung der Geldmenge durch die Zentralbanken und die Ausweitung der Staatsausgaben der Regierungen sind schon bemerkenswert. Der Anstieg der Preise für manche Rohstoffe ist sicherlich auch beachtlich. Die Coronakrise hat aber auch Effekte, die das Potenzial dazu haben, die Inflation langfristig eher wieder zu dämpfen.

Bitte erklären Sie uns das etwas genauer.

Nun, man könnte argumentieren, dass die Covid-19-Krise für die Wirtschaft weniger ein „Gamechanger“ war, der alles Bestehende auf den Kopf stellt, sondern vielmehr ein Verstärker der bereits bestehenden Trends. Und das führt uns zu den Gegeneffekten zur Inflation. Vor der jüngsten Wachstums- und Preisdynamik im Zuge der Nachholeffekte nach dem Abklingen der Covid-19-Krise lebten wir in einer Welt, in der das Wachstum in den Industrieländern über viele Jahre sank. Wir lebten in einem dauerhaften Umfeld einer strukturell niedrigen Inflation. Die Notenbanken haben ihre Inflationsziele ja nicht umsonst über viele Jahre hinweg verfehlt.

Im Jahr 2019, nur ein paar Monate vor dem Ausbruch der globalen Pandemie, gab es sogar noch einen Einbruch bei den längerfristigen Inflations- und Wachstumserwartungen…

…was an den Finanzmärkten damals zu einem massiven Einbruch bei den Zinsen führte. Vor Covid-19 lauteten die langfristigen Trends in den Industrieländern: Niedriges Wachstum, niedrige Inflation, Globalisierung, eine alternde Bevölkerung und Digitalisierung.

Was bleibt davon übrig, nach der Pandemie?

Wir haben keine Kristallkugel. Es erscheint uns aber wahrscheinlich, dass die Globalisierung eine Art Neuordnung erfahren kann, sich vielleicht auch etwas beruhigen wird. Der Trend zu alternden Gesellschaften ist unverändert. Der Schub, den die Digitalisierung durch Covid-19 bekam, was viele Dinge des Lebens durch Effizienzgewinne günstiger machen kann, dürfte anhalten. All das spricht nicht gerade für eine nachhaltig und über viele Jahre steigende Inflation.

Und die Staatsausgaben? Werden die wieder sinken?

In den nächsten Jahren bestimmt, aber wohl eher nicht auf ein Niveau, das nach betriebswirtschaftlichen Bilanzregeln gesund wäre. Nach den Coronahilfen, die noch andauern, kommen weitere Ausgabenprogramme. Etwa für eine „grüne Revolution“.  Ein großer Teil der zukünftigen Haushaltsdefizite der Regierungen dürfte vor allem in Europa für den Klimawandel verwendet werden. Das könnte den langfristigen Trend zur Deflation verstärken.

Inwiefern?

Im Allgemeinen wirken Staatsausgaben eher inflationär. Zukünftige Budgets und Staatsdefizite für den Klimawandel könnten langfristig aber beispielsweise zu sinkenden Grenzkosten im Transport- und Energiebereich führen – was natürlich eher deflationär wirkt. Ein Beispiel dafür wäre etwa die Solarenergie, die nach den Investitionen für die Installation nahezu nichts mehr kostet. Natürlich ist das alles noch Zukunftsmusik, solche Effekte lassen sich jetzt auch noch kaum seriös berechnen. Auf lange Sicht könnten sie aber ihre Wirkung entfalten.

Die Inflation ist bald überwunden?

Wir schließen natürlich nicht aus, dass die Inflation auf Sicht erstmal weiter ansteigt. Vielleicht kann der aktuelle Trend auch noch etwas länger anhalten, vor allem, weil die Zentralbanken sich bei der Inflationsbekämpfung ja bewusst zurückhalten. Allerdings sind wir auch der Ansicht, dass in der aktuellen, medialen Inflationsdebatte die Gegenfaktoren zu wenig berücksichtigt werden. Viele langfristige strukturelle sowie kurz- bis mittelfristige deflationäre Kräfte dürften zumindest einen Teil des von den Zentralbanken und Regierungen erzeugten Inflationsdrucks kompensieren. Noch ist es aber viel zu früh, um konkret zu sagen, wie (und wann) wir aus der Pandemie und dann aus der nachfolgenden Inflation wieder herauskommen werden. Die derzeitigen populären Inflationsnarrative lassen unseres Erachtens jedenfalls einige wichtige Faktoren aus. Es ist nicht so glasklar, wie viele denken.

Wo wirkt Inflation auch in Zukunft besonders stark?

Ein potenziell inflationäres Ergebnis unserer Geld- und Fiskalpolitik dürfte sich viel deutlicher in den Vermögenspreisen als in den Verbraucherpreisen niederschlagen. Höhere Vermögenspreise bedeuten wiederum höhere Multiplikatoren und Bewertungen. Und damit niedrigere zukünftige Renditen und Erträge für Anleger.

Wie zeigt sich das Inflationsthema an den Anleihemärkten?

Hier sind die Inflationserwartungen der Notenbanken schon vielfach eingepreist. In den USA zeigt sich das auch mit Blick auf das kontrollierte, mittelfristige Überschießen der Inflation, wie es von der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) geduldet und offenbar auch gewünscht wird. In der Eurozone sind die Märkte schon sehr nahe dran, ein Erreichen des Inflationszieles durch die Europäische Zentralbank (EZB) einzupreisen.

Und die Zinsen?

Die sind ja in den vergangenen Monaten gestiegen. Die Dynamik hat aber nachgelassen. Real gesehen, also nach Inflation, bleiben sie im negativen Bereich. Daran dürfte (oder darf) sich mit Blick auf ausufernde Schulden vieler Staaten auch nichts ändern.

Die amerikanische Notenbank ist im Juni ja schon mal vorgeprescht…

… und hat schon mal über eine mögliche Zinserhöhung in den nächsten zweieinhalb Jahren und eine mögliche Reduzierung der Anleihenkäufe orakelt. Das Beispiel zeigt vor allem eines: Geldpolitik hat sehr viel mit Kommunikation zu tun.

Wie läuft das in der Praxis ab?

Die Äußerungen wirken in Marktphasen, die etwas anspruchsvoller sind, dann oft volatil. Manchmal liegen die Notenbanker mit ihren Äußerungen über den Markterwartungen, manchmal darunter. Mit den jüngsten, oben beschriebenen Äußerungen lag Jerome Powell etwas über den Erwartungen, auch wenn es an den Anleihemärkten kaum nennenswerte Bewegungen gab. Wir beobachten das Thema natürlich sehr genau, sehen aber derzeit keine Notwendigkeit, unsere taktische Aufstellung zu ändern. Wir sind sehr flexibel und unsere Anlagestrategie ist langfristig ausgerichtet.

Wagen wir einen Blick nach vorne. Hält die Dynamik der Zinsentwicklung der vergangenen Monate an?

Das wird sich zeigen. Im Moment sehen wir aber keine wirklich neuen Daten oder aktuelle neue Dynamik, der sich diese Märkte noch nennenswert weiter anpassen müssen. Das kann sich aber ändern, derzeit beschleunigt sich das Momentum aber ganz offensichtlich nicht.

Was bedeutet das aktuelle Marktumfeld für Anlegerinnen und Anleger?

Es sieht gar nicht so schlecht aus. Die jüngsten Marktbewegungen haben dafür gesorgt, dass sich die Renditen rund um den Globus erhöht haben. Die Zinsstrukturkurven sind vor allem in den USA, Kanada und Australien steiler geworden. Das kann das Renditepotenzial bei einem vorzeitigen Verkauf einer Anleihe erhöhen, wenn man selektiv Anleihen in bestimmten Laufzeitbereichen auswählt. In unserem Fonds, dem Flossbach von Storch - Bond Opportunities, präferieren wir derzeit etwa grundsätzlich eher längere Laufzeiten, die Duration liegt hier bei rund acht Jahren. Wir investieren aber niemals binär, setzen also alles auf nur ein Szenario.

Das bedeutet?

Die längeren Laufzeiten haben wir über Verkaufsoptionen (Long Puts) abgesichert. Das ermöglicht uns, die bewusst etwas offensiver gewählte Duration mit Blick auf eventuelle Überraschungen an den Märkten unter Kontrolle zu halten. Das alles ist aber natürlich eine Momentaufnahme. Wir präferieren seit vielen Jahren eine sehr aktive Anlagestrategie, unsere Ausrichtung kann sich je nach Marktumfeld wieder ändern. Die Zeiten, in denen man mit Kaufen und Halten von Anleihen über den Erhalt von jährlichen Kupons auskömmliche Renditen erhalten und gleichzeitig ein Portfolio stabilisieren konnte, sind am Anleihemarkt schon lange vorbei.

Herr Lipowski, wir bedanken uns für das Gespräch.

Frank Lipowski ist Potfoliomanager des Anleihefonds Flossbach von Storch - Bond Opportunities.

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