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Grüne Taxonomie. Oder die ich rief die Geister…

Norbert F. Tofall

Text 1

Im sogenannten „Übereinkommen von Paris“ vom Dezember 2015, das als völkerrechtlicher Vertrag im November 2016 in Kraft getreten ist, wurde vereinbart, die globale Erderwärmung auf unter 2 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen.1 Zu diesem Zweck sollen unter anderem Finanzmittelflüsse so gelenkt werden, daß die Emission von Treibhausgasen wirksam reduziert wird. Die Europäische Union hat deshalb in ihrem „Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums“ vom März 2018 das Ziel formuliert, Kapitalflüsse hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft auszurichten. Ausdrücklich ist von einem Finanzwesen für eine nachhaltigere Welt die Rede.2

Das derzeitige Investitionsniveau reiche, so der EU-Aktionsplan, nicht aus, um ein ökologisch und sozial nachhaltiges Wirtschaftssystem zu unterstützen. Um die EU-Klima- und Energieziele bis 2030 zu verwirklichen, müsse Europa einen jährlichen Investitionsrückstand von fast 180 Mrd. EUR aufholen. Schätzungen der Europäischen Investitionsbank (EIB) zufolge summiere sich der jährliche Investitionsrückstand in den Bereichen Verkehr, Energie und Ressourcenmanagement auf den enormen Betrag von 270 Mrd. EUR. Mangelnde klare Vorstellungen unter den Investoren darüber, was eine nachhaltige Investition ausmache, seien für diesen Investitionsrückstand mitverantwortlich.3

Die Verlagerung von Kapitalflüssen hin zu nachhaltigeren Wirtschaftstätigkeiten müsse durch ein gemeinsames Verständnis des Begriffs „nachhaltig“ untermauert werden. Ein einheitliches Klassifikationssystem – eine einheitliche Taxonomie – innerhalb der EU werde – so der EU-Aktionsplan – für Klarheit sorgen, welche Tätigkeiten als nachhaltig angesehen werden können.4

Die EU-Kommission hat nun Anfang Januar 2022 eine Konsultation zu einem „Entwurf eines ergänzenden delegierten Taxonomie-Rechtsakts über bestimmte Gas- und Kernenergietätigkeiten“ eingeleitet,5 zu dem die Regierungen der EU-Mitgliedsländer nach Terminverlängerung jetzt noch bis zum 21. Januar 2022 Stellungnahmen abgeben können. Ursprünglich war die Deadline auf den 12. Januar 2022 datiert. Die europaweiten Diskussionen der letzten 10 Tage geben indes ein lebendiges Zeugnis davon ab, daß die von der EU-Kommission vorgenommene Einordnung von Atomkraft und Gaskraftwerken als nachhaltig alles andere als von einem gemeinsamen Verständnis des Begriffs „nachhaltig“ geprägt ist. Die deutsche Umweltministerin Steffi Lemke lehnt die vorgeschlagene Taxonomie wegen der als nachhaltig eingestuften Atomkraft ab. Und die Republik Österreich hat sogar bereits Klagen vor dem EuGH angekündigt.

Unabhängig von den in den letzten Tagen diskutierten Fragen, ob Atomkraft nachhaltig ist oder nicht und ob durch die grüne EU-Taxonomie wirklich Kapitalströme in eine nachhaltigere Wirtschaft gelenkt werden oder ob eine Taxonomie überhaupt sinnvoll ist, stellt sich bei genauerer Lektüre des EU-Aktionsplans von 2018 und des neuen EU-Wiederaufbaufonds „EU Next Generation“ eine ganz andere, viel profanere Frage, - und zwar eine Frage, die auch mit viel Geld aber weniger mit privatwirtschaftlichen Kapitalströmen zu tun hat. Bereits 2018 wird im EU-Aktionsplan festgeschrieben, daß die EU mindestens 20 Prozent des Haushalts unmittelbar für klimarelevante Ziele einsetzt.6 Und auch im EU-Aufbaufonds, mit dem die Folgen der Corona-Krise gemildert werden sollen, ist die Finanzierung der Klimawende zentral. Könnte es deshalb nicht sein, daß es bei der grünen Taxonomie tiefergehend gar nicht um Nachhaltigkeit und Klimaschutz geht, sondern um die maximierende Akquise von EU-Mitteln für die jeweils eigene nationale Energieindustrie? Und muß man zu diesem Zweck nicht die bestehende Energieindustrie der Mehrheit der EU-Mitglieder einfach als nachhaltig deklarieren?

Die Vorlage der EU-Kommission dürfte realistischerweise nur durch eine qualifizierte Mehrheit von 20 Mitgliedstaaten, die zudem 65 Prozent der Bevölkerung der EU repräsentieren müssen, zu Fall gebracht werden. Aus diesem Grund hat Österreich vermutlich bereits auch eine Klage angekündigt, weil es sonst keine Möglichkeit sieht, die von der EU durch die Hintertür forcierte Industriepolitik zu stoppen.

Insgesamt ist damit wie so oft eine Situation eingetreten, in welcher die Geister, die man rief, anders als gewollt agieren. Für Deutschland dürfte die Situation eintreten, daß das Geschäftsmodell Atomkraft im Ausland nicht nur Bestandserhaltungssubventionen erhält, sondern gerade durch den deutschen Atomausstieg und die ungelöste Energieversorgungsfrage geradezu angeschoben wird. Ohne importieren Atomstrom werden wohl die Batterien der deutschen Elektromobile kaum geladen werden können.

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