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Zinswende mit Ausrufezeichen

- Julian Marx

Nach der Europäischen Zentralbank korrigiert auch die wichtigste Notenbank der Welt ihre restriktive Geldpolitik. Vor allem der Blick in die Zukunft sorgt bei der Federal Reserve für Spannung.

Jerome Powell setzte in der aktuellen Sitzung der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) ein erstes und umso deutlicheres Ausrufezeichen. Zum ersten Mal seit mehr als vier Jahren senkte die Fed ihre Leitzinsen – und das direkt um 50 Basispunkte. Damit liegt die Federal Funds Target Range nun in einer Bandbreite von 4,75 bis 5,0 Prozent.

Überraschend kam dieser Zinsschritt nicht. Bereits im August verkündete der Fed-Vorsitzende Powell beim alljährlichen Notenbanktreffen in Jackson Hole: „The time has come for policy to adjust“ (freie Übersetzung: „Die Zeit ist gekommen, die Geldpolitik anzupassen“). Vielleicht noch relevanter als der aktuelle Zinsentscheid dürfte vor diesem Hintergrund deshalb auch der Ausblick sein:

Über die Prognosegüte und damit über den Informationsgehalt der mittelfristigen Projektionen lässt sich natürlich streiten. Dies gilt für die Notenbankprojektionen ebenso wie für die mittelfristigen Markterwartungen. Im aktuellen, von vielen Unsicherheiten geprägten Umfeld, stiftet eine Standortbestimmung Mehrwert – auch wenn diese nach wie vor keine eindeutigen Rückschlüsse zulässt.

Ein Augenmerk der Notenbanker lag jüngst beispielsweise auf der gestiegenen Arbeitslosigkeit in den USA. Im Juli kletterte die Arbeitslosenquote auf 4,3 Prozent und verblieb auch im August mit 4,2 Prozent oberhalb der Vier-Prozent-Marke. Ein Indikator, dem in diesem Zusammenhang zuletzt Aufmerksamkeit geschenkt wurde, ist der Sahm-Rezessionsindikator. Dabei wird der gleitende Dreimonatsdurchschnitt der US-Arbeitslosenquote mit dem Minimum der Dreimonatsdurchschnitte der vorangegangenen zwölf Monate verglichen.

Liegt dieser um 0,5 Prozentpunkte oberhalb des Minimums der vorangegangenen zwölf Monate, war dies in der Historie ein verlässlicher Indikator dafür, dass man am Beginn einer Rezession stand. Ebendiese Schwelle (von 0,5 Prozentpunkten) wurde im Juli und August dieses Jahres überschritten. Vertraut man dieser Regel, stünde eine US-Rezession also (unmittelbar) bevor.

An dieser Rezessionsthese bestehen aber begründete Zweifel, wie Notenbankgouverneur Christopher Waller Anfang September zu verstehen gab: Er argumentierte, dass Rezessionsregeln in der Regel bei nachfragegetriebenen Rezessionen greifen. Allerdings liege der Grund für die jüngst gestiegene Arbeitslosigkeit gerade nicht in einer Nachfrageschwäche.

Die Wachstumsprognosen für das laufende Quartal deuten auf ein solides Wachstum hin, die Arbeitsmarktdaten zeigen stabile Entlassungsraten und die Konsumausgaben wachsen mit einer gesunden Rate. Stattdessen sei der Anstieg der Arbeitslosenquote größtenteils darauf zurückzuführen, dass Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt eintreten und nicht sofort eine Stelle finden. Der jüngste Anstieg der Arbeitslosenquote scheint also eher ein angebotsseitiges Phänomen zu sein und nicht nachfragegetrieben.

Unsicherheiten bleiben

Es geht an dieser Stelle natürlich nicht darum, Argumente für oder gegen eine bevorstehende Rezession zu sammeln. Vielmehr zeigt dieses Beispiel, dass die Interpretation der aktuellen Datenlage nach wie vor anspruchsvoll ist.

Unklar ist etwa, inwiefern sich mögliche Abwärtsrisiken in der Beschäftigung materialisieren. Auch das Inflationsthema ist noch nicht durch, wenngleich die Aufmerksamkeit zuletzt vermehrt in Richtung des Arbeitsmarkts gelenkt wurde. Die Zweifel, ob der Disinflationsprozess erfolgreich sein wird, sind deutlich gesunken. Die Lohndynamik schwächt sich ab. Auch deutet eine „Nullinflation“ bei Neuvermietungen darauf hin, dass die nachlaufende Wohnkosteninflation weiter abnehmen dürfte.

Nichtsdestotrotz ist nach Jahren erhöhter Inflationsraten Vorsicht geboten, zu früh den Sieg über die Inflation auszurufen – das Randrisiko bleibt, dass ein mögliches Wiederaufflammen der Inflation zu einer Entankerung der Inflationserwartungen beitragen könnte.

Ein Fazit

Das duale Mandat der US-Notenbank befindet sich wieder in einer Art „Gleichgewicht“: Die Aufwärtsrisiken für die Inflation haben sich verringert und die Abwärtsrisiken für die Beschäftigung haben sich erhöht. Wie Jerome Powell erklärte, ist sich die Fed der Risiken für beide Seiten ihres dualen Mandats bewusst.

Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang dennoch, dass die US-Notenbank ihre Funktion als Feuerversicherung in jedem Fall beibehält. So wurde der US-Notenbankpräsident zuletzt sehr deutlich und sagte, dass das aktuelle Leitzinsniveau ausreichend Handlungsspielraum biete, um auf etwaige Risiken – einschließlich des Risikos einer unerwünschten weiteren Abschwächung am Arbeitsmarkt – reagieren zu können. Ein möglicher Flächenbrand soll also bestmöglich im Keim erstickt werden. Eine Reaktionsfunktion, die wir aus den vergangenen Krisen nur zu gut kennen.

In dieser anhaltend undurchsichtigen Gemengelage bleibt es dabei, dass die US-Notenbank weiter datenabhängig agiert und es keinen vordefinierten geldpolitischen Pfad gibt. Die Sehnsucht nach „Normalität“ bleibt groß. Auf dem Weg dahin soll der jüngste Zinsschritt nur der Anfang gewesen sein.

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