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Gesellschaft
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Was ist schon normal?

- Julian Marx

Nach Jahren erhöhter Ausgaben stellt der deutsche Bundeshaushalt 2024 eine Rückkehr zur finanzpolitischen Normalität in Aussicht. Ist die Zeit außerordentlich hoher Staatsdefizite zu Ende?

Klare Kante zeigte das Bundesfinanzministerium in seinem Monatsbericht im Juli: „Die Einhaltung der regulären Obergrenze der Schuldenregel ist ein Gebot der Verfassung wie der ökonomischen Vernunft“, hieß es dort. Damit ist die Einhaltung der Schuldenbremse, die die strukturelle Nettokreditaufnahme des Bundes auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) begrenzt, für das kommende Jahr fest eingeplant.

So soll die Nettokreditaufnahme im Jahr 2024 auf 16,6 Milliarden Euro zusammenschrumpfen und damit nur einen Bruchteil dessen betragen, was in den krisengeplagten Jahren 2020 bis 2022 anfiel. Allein in diesen drei Jahren nahm der Bund 461,3 Milliarden Euro an Nettokrediten auf. In diesem Jahr könnten nach derzeitiger Schätzung weitere 45,6 Milliarden hinzukommen.

Ist die angestrebte Konsolidierung im Bundeshaushalt also gleichbedeutend mit einer Abkehr von den hohen schuldenfinanzierten Ausgaben der vergangenen Jahre?

Eckstein, Eckstein, alles muss versteckt sein …

Richtig ist, dass der Handlungsdruck, außerordentliche Staatsausgaben in Milliardenhöhe per Kredit zu finanzieren, im Vergleich zur Hochzeit der Pandemie abgenommen hat. Beispielsweise gab die Bundesagentur für Arbeit in den Jahren 2020 und 2021 mehr als 40 Milliarden Euro fürs Kurzarbeitergeld aus. Geld, das man sich heute „sparen“ kann.

Doch es sind neue Ausgaben hinzugekommen: Kosten für die Folgen des letztjährigen Energiepreisanstiegs oder die geplante Aufrüstung der Bundeswehr. Für die Bewältigung dieser Ausgaben wurden gigantische Extrahaushalte, sogenannte Sondervermögen, geschaffen. Und hier greift die Schuldenbremse aufgrund buchhalterischer Tricks oftmals nicht. Darunter leidet die Transparenz der Staatsfinanzen.

So erhielt der Wirtschaftsstabilisierungsfonds 2022 eine eigene Kreditermächtigung über 200 Milliarden Euro. Davon setzte er im vergangenen Jahr allerdings nur 30 Milliarden Euro ein, beispielsweise zur Kosten-Übernahme des Dezember-Abschlags für zig Millionen Haushalte. Die übrigen Mittel wurden zurückgelegt und können genutzt werden, um bis zum 30. Juni 2024 Hilfsmaßnahmen zu finanzieren. Hier existieren keine weiteren Einschränkungen durch die Schuldenbremse.

Auch das 100 Milliarden Euro schwere Sondervermögen Bundeswehr unterliegt aufgrund einer Grundgesetzänderung nicht der Schuldenbremse. Durch derartige Maßnahmen erhöht sich der Defizitspielraum der Bundesregierung für die kommenden Jahre substanziell – um rund 400 Milliarden Euro oder 10 Prozent des deutschen BIP – und die Schuldenbremse wird umgangen. 

Defizite in die Zukunft verschieben

Ein Taschenspielertrick, den wir so ähnlich bereits von der Europäischen Union (EU) kennen. Auch die EU und ihre Mitgliedstaaten waren kreativ, als sie in der Pandemie das rund 800 Milliarden Euro schwere Aufbauprogramm „Next Generation EU“ ins Leben riefen.

Denn finanziert werden die Programmausgaben zunächst durch Neuschulden der EU. Das ist bemerkenswert, da die EU sich eigentlich nur aus Eigenmitteln finanzieren darf. Dieses Problem wurde umgangen, indem die Mitgliedstaaten höhere zukünftige Beitragszahlungen zugesagt haben und diese Zahlungsversprechen als Eigenmittel deklariert wurden.

Wenn die Mitgliedstaaten diesen Zahlungsversprechen in einigen Jahren nachkommen müssen, wird auch das zur Belastung im Bundeshaushalt. Für die heutigen Defizite der Mitgliedstaaten ist es dann aber selbstverständlich (noch) nicht relevant, dass bereits mehr als 150 Milliarden Euro an Programmgeldern ausgezahlt wurden.

Altbekannte Probleme

Doch nicht nur die Extrahaushalte und die künftig höheren Beitragszahlungen an die EU werden zur Belastung kommender Bundeshaushalte. Auch die demografische Entwicklung setzt die Bundesfinanzen weiter unter Druck. Allein in diesem Jahr sollen rund 112 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt in die Rentenkasse fließen. Umgelegt auf die knapp 46 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland hieße das, dass jede erwerbstätige Person monatlich gut 200 Euro an Steuerzahlungen leisten muss, um die Rentenansprüche finanzieren zu können. Zusätzlich zum heute geltenden Rentenbeitrag von 18,6 Prozent des Bruttolohns, versteht sich. Sofern das Versorgungsniveau in der Rente nach 45 Beitragsjahren weiterhin bei 48 Prozent des dann vorherrschenden Durchschnittsverdienstes bliebe, müsste der Rentenbeitrag bis 2040 sogar auf gut 25 Prozent des Bruttolohns steigen, wie eine Simulation der Deutschen Bundesbank zeigt.

Aber nicht nur die Versicherungsleistungen aus der Rentenkasse wachsen demografisch bedingt. Auch die Kosten für Kranken- und Pflegeversicherungsleistungen dürften weiter ansteigen. Lösungsansätze sind schwierig. Weder ist es aus sozialen Gesichtspunkten wünschenswert, Kranken-, Pflege- und Rentenversicherungsleistungen in der Breite zu kürzen. Ebenso kann eine solche Kostenlawine aber auch kaum der erwerbstätigen Bevölkerung zugemutet werden. Gut möglich also, dass zahlreiche Sozialleistungen zukünftig vermehrt schuldenfinanziert werden (müssen).

Das neue „normal“

Wenngleich das Bundesfinanzministerium also „die Rückkehr zur finanzpolitischen Normalität“ in Aussicht stellt, ist das nicht zwangsläufig mit einem Ende erhöhter Staatsdefizite gleichzusetzen. Neben Kostenblöcken wie dem Sondervermögen Bundeswehr, bei dessen Ausgaben die Schuldenbremse nicht greift, dürften auch die demografiebedingten Kosten in den kommenden Jahren weiter steigen.

Eine nachhaltige Rückkehr zur finanzpolitischen Normalität könnte sich also als Wunschdenken des Bundesfinanzministeriums entpuppen. Vielleicht muss eine neue Normalität aber auch gar nicht länger mit dem Streben nach der „schwarzen Null“ einhergehen.

Eine überbordende Schuldenaufnahme gilt es zwar zweifelsfrei zu vermeiden. Sofern vergleichsweise niedrige Defizite aber bedeuten, dass zukunftsweisende Investitionen getätigt werden, sollten diese nicht pauschal negiert werden. Auf die politischen Entscheidungsträger warten in den kommenden Jahren schwerwiegende Entscheidungen. Wir dürfen also gespannt sein, wie die finanzpolitische Normalität in Zukunft aussieht. Sie hängt letztlich nicht nur vom deutschen Finanzminister ab, sondern von der ganzen Regierung, den Parteien und den Bürgern, die sie mit Blick auf ihre Programme wählen.

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