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Gesellschaft
4 Minuten

"Wir sollten Trump nicht unterschätzen"

- Flossbach von Storch

Die kommende US-Präsidentschaftswahl gilt als eine der wichtigsten in der Geschichte des Landes, möglicherweise die wichtigste. Sigmar Gabriel, der frühere Bundesaußenminister und Vize-Kanzler, über den Wahlkampf – und die möglichen Folgen. Die Fragen stellt der ehemalige Herausgeber und Chefredakteur der Bild-Zeitung, Kai Diekmann.

Diekmann: Attentat auf Donald Trump, Rücktritt Joe Biden, Aufholjagd Kamala Harris – hätten Sie sich ein solches Drehbuch für den US-Wahlkampf ausdenken können?

Gabriel: Nein, das sicherlich nicht. Ich hätte mir vor einigen Jahren auch nur schwerlich vorstellen können, dass ein Typ wie Trump die republikanische Partei praktisch zerstören würde. Eine Partei, die uns Deutschen meist deutlich näherstand als die Demokraten, weil sie den Freihandel und die Stärke des transatlantischen Bündnisses sehr viel stärker betont hat. Dass Biden zurücktreten könnte, hatte ich dagegen erwartet. Spätestens nach dem TV-Duell mit Trump war klar: So kann es nicht weitergehen.

Jo Biden hat gesagt, er sei der Einzige, der Donald Trump bei der anstehenden Wahl schlagen könne …

Ich glaube, es wäre ein Erdrutschsieg für Trump geworden, wenn Biden im Rennen geblieben wäre, gerade nach dem versuchten Attentat auf Trump und den ikonischen Bildern von ihm, mit blutigem Ohr und geballter Faust. Jetzt ist es zumindest ausgeglichen – wobei ich vorsichtig bleibe: Wir sollten Trump nicht unterschätzen oder gar abschreiben.

Vor acht Jahren waren Sie einer der wenigen, die ihn nicht unterschätzt und gesagt haben, er könne durchaus gegen Hillary Clinton gewinnen.

Auch daher rührt meine Skepsis heute.

Trauen Sie sich eine konkrete Prognose zu?

Nein. Es ist ein knappes Rennen, eine 51 zu 49 - Entscheidung.

Was könnte denn die Wahl entscheiden?

Es wird vermutlich keine großen Wählerwanderungen geben, so wie früher einmal. Für Harris und Trump wird es also nicht zuletzt darum gehen, die eigenen Anhänger zu mobilisieren. Trump hat einen sehr großen Einfluss auf seine Leute. Denen ist‘s egal, was bei einem TV-Duell passiert. Denen ist auch wurscht, was über ihn in den Zeitungen geschrieben steht. Die große Frage lautet: Was tun die Menschen, die gewöhnlich nicht zur Wahl gehen?

Was denken Sie?

Ich fürchte, Kamala Harris ist für viele ein unbeschriebenes Blatt. Mit Trump dagegen können alle etwas anfangen – im Guten wie im Schlechten.

Harris ist immerhin die amtierende Vize-Präsidentin …

Wir machen oft den Fehler und vergleichen die Wahlen in den USA mit denen in Deutschland. Wir müssten sie stattdessen mit Wahlen auf europäischer Ebene vergleichen. Und ich glaube nicht, dass man an der Südspitze Portugals die Kandidaten in Berlin kennt.

Trump ist ein notorischer Lügner – ist das seinen Anhängern völlig egal?

Einem Teil dürfte es egal sein, ja.

Aber?

Ich bin vor einer Weile in West-Virginia unterwegs gewesen, einer sehr ländlich geprägten Gegend in den USA. Jahrzehntelang wurden dort die demokratischen Kandidaten gewählt. Bis Trump kam. Ich wollte wissen, warum – und habe deshalb mit vielen Trump-Anhängern gesprochen.

Und wie lautet ihr Fazit?

Es gibt kein eindeutiges. Es sind nicht nur rechtsradikale Spinner, die Trump wählen. Es sind vor allem, wie es immer so schön heißt, ganz normale Menschen. Menschen, die sich abgehängt fühlen und verraten vom, wie sie sagen: „Establishment“. Ihr da oben, wir hier unten, das ist ihre Abgrenzung. Und deshalb wählen sie einen Typ wie Trump – „Can you hear me now“?!

Was kann Kamala Harris dagegen tun?

Ihre Chance sind die jungen Wählerinnen und Wähler. Viele sehnen sich nach einem Generationenwechsel in der Politik, nach einem neuen, modernen Amerika.

Beobachter fürchten, die unterlegene Seite könnte die Niederlage nicht akzeptieren und so einen Bürgerkrieg in den USA auslösen. Ist die Sorge berechtigt?

Ich denke nicht, dass in den USA ein Bürgerkrieg droht. Ich würde aber davon ausgehen, dass das offizielle Ergebnis der Wahl auf sich warten lassen wird; zumal Anwaltskanzleien bereits Anfechtungsklagen vorbereitet haben, für die eine wie die andere Seite. Insofern dürfte das ein sehr zähes Ringen werden – und die Gräben zwischen beiden Lagern weiter vertiefen. Auch das sind keine guten Nachrichten.

Worauf konkret beziehen Sie das?

Außenpolitik ist immer ein Reflex der Innenpolitik. Wenn die USA sich zu sehr mit sich selbst beschäftigen, fallen sie als Anführer der Welt aus. Und es fühlen sich all jene eingeladen, das Vakuum zu füllen, die mit den USA um die Vorherrschaft konkurrieren.

Vielen Dank für das Gespräch.

Über Sigmar Gabriel

Sigmar Gabriel, geboren 1959 in Goslar, war seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages. Von 1999 bis 2003 war er niedersächsischer Ministerpräsident.

Als Mitglied der Bundesregierung war er danach Bundesumweltminister (2005-2009), Bundeswirtschaftsminister (2013-2017) sowie Bundesaußenminister (2017-2018).

Von 2013 bis 2018 war er Vizekanzler und von 2009 bis 2017 zugleich Vorsitzender der SPD. 2019 wurde er zum Vorsitzenden des Atlantik-Brücke e.V. gewählt.

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