Die US-Inflationsdynamik schwächt sich ab. Ganz zur Freude von US-Notenbankpräsident Powell, der ein Zwei-Prozent-Inflationsziel anstrebt. Doch es gibt gute Gründe, die „zwei Prozent“ nicht zu genau zu nehmen.
Die Richtung stimmt. In den USA hat der Preisdruck im vergangenen Jahr spürbar nachgelassen. Dabei fällt der Rückgang der Preissteigerungsraten mal mehr, mal weniger stark aus – je nachdem, welche Inflationsrate man gerade betrachtet.
Gemessen am U.S. Consumer Price Index (CPI) lag die US-Inflation im Dezember 2023 bei 3,3 Prozent. Gemäß „Personal Consumption Expenditures Price Index“ (PCE) bewegte sich die Inflation in den USA mit 2,6 Prozent schon deutlich näher am Zwei-Prozent-Ziel. Damit aber nicht genug.
Wer jetzt noch die (volatilen) Lebensmittel- und Energiepreise ausblenden möchte, um eventuell einen besseren Eindruck vom zugrunde liegenden Inflationsdruck zu bekommen, kann noch einen Blick auf die Kerninflationsraten werfen. Diese fielen mit 2,9 Prozent (PCE) beziehungsweise 3,9 Prozent (CPI) höher aus als die jeweiligen „Headline“-Inflationsraten (vgl. Grafik 1).
Ein Inflationsziel, zwei Preisindizes und vier relevante Inflationsdatenpunkte. Passt das zusammen? Wo die Fallstricke bei der Inflationsberechnung liegen und was das für Geldpolitik im Allgemeinen bedeutet.
Bei der Inflationsmessung gibt es verschiedene Parameter, an denen sich drehen lässt. Ein relevanter Unterschied zwischen den zwei großen US-Preisindizes besteht beispielsweise in dem betrachteten Warenkorb: So fließen die Wohnkosten für Mieter und Eigentümer mit einem Gewicht von mehr als 30 Prozent in den CPI-Warenkorb ein. Beim „konkurrierenden“ PCE-Index sind es hingegen weniger als 20 Prozent.
Aber nicht nur die Gewichtung ansonsten gleicher Güter und Dienstleistungen kann sich unterscheiden. Auch der Betrachtungsumfang weicht beim Vergleich der beiden Indizes spürbar voneinander ab. Rund 25 Prozent des PCE-Warenkorbs werden vom CPI überhaupt nicht erfasst.
Während der CPI im Grunde genommen nur die Ausgaben erfasst, die direkt aus der Tasche der Verbraucher gezahlt werden müssen, geht der PCE-Index einen Schritt weiter. Er erfasst beispielsweise auch Gesundheitsausgaben, die im Rahmen von „Medicare“, einem US-Krankenversicherungsprogramm für ausgewählte Bevölkerungsgruppen, übernommen werden.
Daneben existieren weitere Unterschiede. Sorgen all diese Differenzen aber dafür, dass einer der beiden Preisindizes als genauer oder zuverlässiger angesehen werden kann? Nein, lautet die kurze Antwort. Vielmehr gilt es, die Vorzüge und Nachteile des jeweiligen Preisindizes abzuwägen.
Der PCE-Index bietet unter anderem den Vorteil, dass er mehr Ausgaben abdeckt und somit breiter aufgestellt ist. Das ist auch ein wesentlicher Grund dafür, dass die US-Notenbank die Betrachtung des PCE-Index für ihre geldpolitischen Zwecke gegenüber dem CPI präferiert.
Doch auch der U.S. Consumer Price Index hat seine Vorzüge. Und das nicht nur, weil er allgemein bekannt ist und sich die Leistungserhöhungen der US-Sozialversicherung seit 1975 an seiner Preisentwicklung orientieren.
Weil der CPI im Gegensatz zum PCE enger gefasst ist und sich vor allem die direkten Konsumentenausgaben anschaut, kann er ein besseres Gefühl für die gefühlte Inflation beim US-Verbraucher vermitteln. Ein Faktor, den auch eine US-Notenbank bei der Steuerung von Inflation und Inflationserwartungen nicht einfach ausblenden kann.
Als wäre es aus Sicht von Statistikern und Geldpolitikern nicht schon anspruchsvoll genug, über die Zusammensetzung der betrachteten Warenkörbe und die bestmögliche Formel zur Inflationsberechnung zu diskutieren, zeigen sich in der Praxis noch weitere Probleme. So ist es nämlich gar nicht so einfach, die Preisentwicklung der betrachteten Waren und Dienstleistungen stets passgenau zu erfassen.
Ein Beispiel ist der technologische Fortschritt. Möglicherweise stellt Ihr Arbeitgeber Ihnen im kommenden Jahr einen neuen Arbeitslaptop bereit. Die Kosten für diesen Laptop könnten in diesem Beispiel 40 Prozent höher ausfallen als beim letzten Laptopkauf vor vier Jahren. Also 40 Prozent Inflation in vier Jahren? Eher nicht.
Vielmehr versuchen Statistiker zu unterscheiden: Zwischen einem inflationsbedingten Preisanstieg und der Tatsache, dass die höheren Kosten in großen Teilen auch dadurch rechtfertigt werden können, dass der neue Laptop deutlich leistungsfähiger ist. In diesen Fällen können Statistiker anhand der Leistungseckdaten eine gute „Qualitätsbereinigung“ vornehmen. Das funktioniert aber nicht immer.
So etwa bei den hochrelevanten Verbraucherpreisinflationsdaten zum selbstgenutzten Wohneigentum. Hier existieren verschiedene Ansätze zur Preismessung. In den USA und Japan werden die Kosten für selbstgenutztes Wohneigentum durch einen Mietäquivalenzansatz erfasst. Es wird also auf die Mietpreisentwicklung bei vergleichbaren Objekten geschaut.
In Australien und Neuseeland werden die Kosten für selbstgenutztes Wohneigentum anhand der Baupreisentwicklung geschätzt. In Kanada und Schweden wird versucht, die Kostenentwicklung für Abnutzung und Verschleiß beim Bewohnen einer Immobilie zu schätzen.
Und in der Eurozone? Hier werden die Kosten für selbstgenutztes Wohneigentum bislang überhaupt (noch) nicht in den Daten zur Verbraucherpreisinflation erfasst. Und das, obwohl die Eigentümerquote in 17 der 20 Euro-Länder rund 70 Prozent oder mehr beträgt.
Wer oberflächlich auf das Zwei-Prozent-Inflationsziel zahlreicher Notenbanken schaut, könnte dem Irrglauben unterliegen, dass sich Inflation punktgenau auf die Nachkommastelle steuern ließe. De facto ist dies aber kaum möglich.
Zahlreiche Faktoren der Inflationsmessung und der Inflationsberechnung sind nicht in Stein gemeißelt: Wie hoch sind etwa die Kosten fürs Wohnen im Verbraucherpreisindex zu gewichten? Und wie lassen sich die Wohnkosten für Eigenheimbesitzer bestmöglichen erfassen? Alles Faktoren, die dem Wunsch nach einer allzu präzisen Inflationssteuerung entgegenwirken.
Viele Notenbanken tragen diesem Umstand auch Rechnung, indem sie kein Punkt-Inflationsziel, sondern eine Inflationsbandbreite ansteuern. Die Schweizerische Nationalbank definiert Preisstabilität als einen Anstieg der Konsumentenpreise von weniger als zwei Prozent. Die Reserve Bank of Australia strebt eine Inflationsbandbreite von zwei bis drei Prozent an.
Es ist letztlich aber auch nicht entscheidend, wie das Inflationsziel im Detail ausgelegt wird und wie die Inflationsberechnung final erfolgt. Denn eine Punktlandung kann es bei der Inflationssteuerung durch die Notenbanken ohnehin nicht geben. Dafür existieren wohl zu viele Unwägbarkeiten.
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