In der Eurozone scheint das Inflationsziel von zwei Prozent wieder in Sichtweite. Doch Bundesbankpräsident Joachim Nagel möchte die „Weihnachtsplätzchen noch im Ofen lassen“. Eine Bestandsaufnahme.
In Deutschland geht es „bergab“ mit den Preissteigerungen. Um nur noch 3,2 Prozent stiegen die Verbraucherpreise im November 2023 im Vergleich zum Vorjahresmonat. Noch im August wies das Statistische Bundesamt einen Preisanstieg von rund sechs Prozent gegenüber dem Vorjahr aus.
Damit erhärtet sich der Eindruck, dass sich der Preisauftrieb in den vergangenen Monaten weiter abschwächte. Wer daraus allerdings zeitnahe Zinssenkungen ableitet, könnte einem Irrglauben unterliegen. Oder wie Bundesbankpräsident Nagel es formulierte: „Das wäre so, als würde man den Ofen ausschalten, bevor die Weihnachtsplätzchen fertig gebacken sind. Wenn man merkt, dass sie nicht durchgebacken sind, muss man den Backofen erst wieder aufheizen und verbraucht am Ende viel mehr Strom.“
Der Backofen bleibt heiß
Kurzum: Die geldpolitische Stoßrichtung dürfte uns nach Ansicht des Bundesbankpräsidenten noch eine Weile erhalten bleiben. Denn die Gefahren einer zu frühen Lockerung der derzeit restriktiven Geldpolitik sind vielfältig. Zum einen ist das Inflationsziel von zwei Prozent zwar wieder in Sichtweite, allerdings ist eine nachhaltige Zielerreichung nicht ansatzweise sichergestellt.
Beispielsweise wurde die November-Inflation in der Eurozone in Höhe von 2,4 Prozent auch von einem Basiseffekt bei den Energiepreisen begünstigt, die im Jahresvergleich um 11,5 Prozent rückläufig waren. Zudem liegt Kerninflationsrate mit 3,6 Prozent im November noch immer deutlich oberhalb des Inflationsziels (vgl. Grafik 1). Der zugrunde liegende Inflationsdruck befindet sich also unverändert auf einem erhöhten Niveau.
Insofern könnte eine frühzeitige Lockerung der Geldpolitik auch eine fatale Signalwirkung entfalten und in steigenden Inflationserwartungen münden. Ein Szenario, das es mit Blick auf die angestrebte Preisstabilität unbedingt zu vermeiden gilt.
Zumal der Aufwärtsdruck bei Löhnen in den kommenden Quartalen ohnehin erhöht bleiben dürfte. Schließlich spricht der erhebliche Reallohnverlust der vergangenen Jahre für einen gewissen Aufholbedarf bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern (vgl. Grafik 2). Die Europäische Zentralbank dürfte daher kein Interesse daran haben, den Backofen voreilig abkühlen lassen.
Es kann nichtsdestotrotz hilfreich sein, sich die Funktionsweise des geldpolitischen Transmissionsmechanismus in Erinnerung zu rufen:
Bis allerdings ein nachhaltiges Erreichen des Inflationsziels gegeben ist, können durchaus noch Jahre vergehen. Im September prognostizierten die Euro-Währungshüter, dass die Inflation in der Eurozone im kommenden Jahr bei durchschnittlich 3,2 Prozent liegen könnte. Erwartete Lohnsteigerungen dürften sich zu einem gewissen Grad auf die Preise auswirken und ihren Teil zu diesen Inflationsschätzungen beitragen.
Daher ist vermutlich Geduld gefragt. Ob die Notenbanker diese aufbringen können und die restriktive Geldpolitik lange genug aufrechterhalten?
Als die Inflationsraten noch vor ein paar Jahren zu niedrig waren, hatten sie „Geduld“. Sie hielten über Jahre am Null- und Negativzinsumfeld fest und experimentierten mit billionenschweren Staatsanleihekäufen. Seinerzeit stabilisierten sie die Finanzlage von Haushalten, Unternehmen und Staaten aber auch durch günstige Refinanzierungsbedingungen. Die heutige Geldpolitik wirkt genau entgegengesetzt. Umso mehr gilt es, auf der letzten Meile Stehvermögen zu beweisen.
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