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Gesellschaft
3 Minuten

„Das japanische Rätsel“

- Prof. Dr. Thomas Mayer

Weltweit erreicht die Inflation neue Rekorde. Thomas Mayer vom Flossbach von Storch Research Institute erläutert, wieso das in Japan anders ist.

Herr Mayer, während in der Eurozone und in den USA die Inflationsraten gegenüber Vorjahr im Mai bei jeweils mehr als acht Prozent lagen, erreichte die Teuerung in Japan zuletzt nur 2,5 Prozent. Nur eine Momentaufnahme?

Blickt man zurück in die japanische Wirtschaftsgeschichte, kann man drei Phasen der Inflationsentwicklung erkennen. In den ersten beiden Phasen, die von den 1960er Jahren bis 1990 dauerten, lag der Mittelwert der Inflation gegenüber Vorjahr bei etwa 5,6 Prozent.

Davon sind die Werte heute aber meilenweit entfernt.

Ab 1990/91 kam es zu einem Wechsel von einer Periode mit hohem Wachstum und relativ hoher Inflation zu einer Periode mit niedriger Inflation und niedrigem Wachstum, die nun schon seit Jahrzehnten anhält. Nach dem Aktien - und Immobiliencrash von 1990 bis 1991 litt die Wirtschaft unter der Verschleppung der Anpassung an die veränderten Bedingungen. Die Inflation erreichte zwischen 1991 bis 2012 im Mittel nur noch 0,3 Prozent. Danach versuchten Notenbank und die Regierung unter Shinzo Abe die Inflation mit einem Programm der Geldflutung auf zwei Prozent anzuheben. Doch sie verharrt seit 2013, als die Phase IV begann, im Schnitt bei gerade mal ein Prozent.

Warum hat es nicht funktioniert, die Inflation stärker anzuheben?

Genau das ist die Frage. Die niedrige Inflation wurde weithin als überraschend angesehen, da sie mit einer starken monetären und fiskalischen Expansion einherging und dadurch eine schnell wachsende Lücke zwischen der Geldmenge und dem nominalen Bruttoinlandsprodukt entstanden ist. Es ist das japanische Inflationsrätsel. Gemeinsam mit Gunther Schnabl von der Universität Leipzig habe ich dieses Phänomen mit Hilfe der Quantitätstheorie des Geldes als theoretischem Rahmen untersucht.

Und das Ergebnis?

Die vergleichsweise niedrige Inflation in Japan ist unseres Erachtens eine Folge des Niedergangs von Sachwerten und Anleihen als Wertaufbewahrungsmittel nach dem Platzen der Blasenwirtschaft. So stieg die Nachfrage nach Geld als Wertaufbewahrungsmittel, während die Rolle der Kreditvergabe der Banken an den privaten Sektor zur Geldschöpfung durch die andauernde Niedrigzinspolitik geschwächt wurde.

Obwohl Japaner also kaum Zinsen bekommen, parken sie ihr Geld auf Bankkonten, statt Wertpapiere zu kaufen?

Thomas Mayer: Die Spanne der Zinsen auf Tagesgeld und 10-jährigen Staatsanleihen wurde zwischen -0,1 und 0 Prozent fixiert. Die Inflation ist seit Jahrzehnten niedrig, wozu auch Preiskontrollen beitrugen. Der reale Zinssatz auf Geldguthaben war im Durchschnitt seit 1971 positiv.

Aber Japan ist doch eine Marktwirtschaft. Welche Preise werden denn reguliert?

Beispielsweise Strompreise oder die Preise für den öffentlichen Verkehr. Solche staatlichen Preiskontrollen scheinen die Inflationserwartungen auf einem niedrigen Niveau verankert und die Japaner vor dem jüngsten Anstieg der weltweiten Rohstoffpreise besser bewahrt zu haben als die Bürger anderer Länder. Auch die Wechselkursstabilisierung in Form von Devisenmarktinterventionen, um den Zinssatz in Japan dauerhaft unter dem US-Zinssatz zu halten, trugen in der Vergangenheit zu der niedrigen Inflation bei.

Sie erwarten also auch nach dem russischen Angriff auf die Ukraine und dem damit verbundenen Anstieg der Rohstoffpreise nicht, dass die Verbraucherpreise in Japan ähnlich stark steigen werden wie bei uns?

Davon ist bisher nichts zu sehen. Trotz der starken Abwertung des Yen stieg die Energiekomponente im Verbraucherpreisindex in Japan um rund 17 Prozent und in Deutschland um rund 38 Prozent. Damit gingen Anstiege der Kerninflation, also der Inflation ohne Preissteigerungen bei Energie und Nahrungsmittel, um nur 0,8 Prozent in Japan aber um 3,8 Prozent in Deutschland einher. Die Japaner profitieren folglich nicht nur von einer günstigeren geografischen Verteilung der Energieimporte, sondern auch von einer geringeren Überwälzung gestiegener Energiepreise auf die Preise anderer Konsumgüter.

Sie sagten vorhin, dass die Geldmenge im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt in Japan immer weiter gestiegen ist. Befördert das nicht die Inflation?

In Bezug auf die Auswirkungen einer wachsenden Geldmenge auf die Inflation legt unsere Analyse nahe, dass die japanische Erfahrung ein Ausnahmefall ist. Die Gründe dafür sind die Fixierung der Zinsen über alle Laufzeiten bis zu zehn Jahren auf null Prozent durch die Bank von Japan und ein außerordentliches Maß an Lohnzurückhaltung. Dadurch machen die Japaner kaum noch einen Unterschied zwischen Geldanlage und Geldhortung und lassen das von der Bank von Japan erzeugte Geld auf den Konten liegen, statt es auszugeben. Und die Unternehmen spüren von der Lohnseite her kaum Kostendruck.

Weil die Inflationserwartung also niedrig ist, bleiben die Lohnforderungen also moderat. Das ist bei uns wohl kaum zu erwarten.

Ja, außerhalb Japans hat sich die niedrige Inflation nicht so stark verfestigt, und die Reallöhne waren in vielen Fällen in letzter Zeit negativ. Daher wird Geld bei uns nicht in ähnlicher Weise als sicheres Wertaufbewahrungsmittel angesehen. Die anfängliche kostengetriebene Inflation aus höheren Rohstoff- und Inputpreisen führt zu Lohnerhöhungen und schließlich zu einer anhaltenden Verbraucherpreisinflation. Die negativen Wohlfahrtseffekte einer anhaltend lockeren Geldpolitik sind damit in den meisten Industrieländern über die Inflation an die Haushalte weitergegeben worden.

Herr Mayer, vielen Dank für das Gespräch.

Die Studie finden Sie auf der Seite des Flossbach von Storch Research Institute: Japans Rätsel der niedrigen Inflation - Flossbach von Storch.

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